Ein Text von Maret Buddenbohm, auch bekannt als die Herzdame, die keine Vorträge mehr halten will.
Im Moment haben wir zu Hause wieder eine ganz furchtbare Phase. Es klappt nichts.
Die Wünsche der Söhne (8 und 10 Jahre) und unsere Wünsche gehen gerade komplett auseinander. Die Kinder wollen mehr iPad, mehr Spieleapps, mehr Serien, mehr Fernsehen, mehr Youtube-Videos, mehr Hörspiele, mehr Abhängen, mehr Chillen, mehr Süßigkeiten, mehr Tiefkühlpizza. Außerdem lieber weniger frische Luft, weniger Hausaufgaben, weniger Lernen, weniger gemeinsame Mahlzeiten, weniger gesundes Essen, weniger Tischdeckaufgaben, weniger Spülmaschineausräumen, weniger Müllrunterbringen, weniger Zähneputzen, weniger Körperpflege. Genau genommen all das am liebsten gar nicht. Und alleine ins Bett gehen schon mal überhaupt nicht.
Die Eltern wollen logischerweise das genaue Gegenteil.
Wir alle haben es zurzeit nicht leicht miteinander. Die gegensätzlichen Wünsche führen zum Beispiel dazu, dass sich die Kinder die Freiheit nehmen, mehr Medienzeit zu nutzen als vereinbart wurde. Es reicht nicht die „eine Runde noch zu Ende“ zu spielen, nicht 5 oder 10 Minuten mehr, nicht eine Stunde mehr, nein, es ist nie genug.
Die fürsorglichen Eltern erinnern erst daran, dass die Zeit um ist. Mahnen dann, dass nun wirklich genug sei. Sagen dann auch, dass sie es richtig blöd finden, dass die vereinbarten Regeln nicht eingehalten werden. Stehen dann irgendwann zeternd und meckernd vor den Kindern, die auf Durchzug geschaltet haben, bis dann früher oder später das Wort „iPad-Verbot“ fällt. Aha! Jetzt schauen sie wenigstens mal kurz hoch. Um dann aber wieder aufs iPad zu starren. Nur eben noch die Runde zu Ende …
(Pädagogisch wertvoller Tipp übrigens: wenn man sich wieder mal kein Gehör verschaffen kann, aus welchen Gründen auch immer, einfach mal ganz leise das Wort „iPad-Verbot“ flüstern und schon hat man alle Aufmerksamkeit der Welt.)
Oder ein anderes Beispiel, die stressgeplagten Eltern bitten die Kinder: „Ihr liebsten Söhne, beste Kinder der Welt, wäret ihr so gnädig die Spülmaschine auszuräumen? Ach nein, es reicht schon, wenn ihr den Esstisch abräumen könntet. Stellt die Teller einfach auf die Spülmaschine.“ Keine Reaktion, die Kinder sitzen schon lange nicht mehr am Esstisch. Nichts regt so sehr die Verdauung an, wie eine gemeinsame Mahlzeit mit der Familie. Also am Ende wieder Vorträge über Hilfe im Haushalt und Geschimpfe. Die meisten Eltern werden das irgendwie kennen.
Mittlerweile bin ich schon selbst so richtig genervt von meinen ewigen Vorträgen. Und kann mein eigenes Gemecker auch nicht mehr ertragen. Ich will das so nicht mehr! Und der Gatte auch nicht. Deshalb habe ich ein Experiment vorgeschlagen: eine Woche ohne Vorträge und Meckern.
Eine Woche sollen die Kinder die Verantwortung für ihr Handeln selbst übernehmen. Ich mische mich nicht ein, ich rege mich nicht auf. Sie können sich so viel Medienzeit nehmen, wie sie es für richtig halten. Wenn sie nichts lernen wollen, dann eben nicht. Ich bin keine Zeitansage in Dauerschleife, wenn sie morgens zu lange trödeln, dann kommen sie eben zu spät in die Schule. Ich gehe jedenfalls pünktlich um 7:45 Uhr zur Arbeit. Wenn sie keine Lust auf Zähneputzen haben – die Quittung kommt, wenn sie das erste Gehalt gleich in das erste Implantat statt in den ersten Urlaub investieren müssen. Nicht mehr meine Baustelle. Sie haben keine Lust, mit uns am Tisch zu sitzen? Egal, so können der Gatte und ich uns endlich mal wieder in Ruhe unterhalten. Wo der Kühlschrank steht, das wissen sie ja, und Brote schmieren können sie auch. Ihre Schmutzwäsche liegt nicht im Wäschekorb? Dann kann ich sie leider auch nicht waschen. Schade für sie, weniger Arbeit für mich. Lieber Schokolade statt Apfel – egal, Kinder werden auch unter viel schlimmeren Lebensbedingungen groß.
Wenn die Wohnung mit Kinderkram zugemüllt ist – auch egal, ich rege mich nicht auf. Ich schmeiße einfach alle Sachen ins Kinderzimmer auf einen Haufen, und wie es da aussieht ist mir sowieso egal. Hauptsache MEIN Wohnbereich ist ordentlich und ich kann mich wohlfühlen. Zum Gute-Nacht-Kuss komme ich pünktlich um 20:15 Uhr nach der Tagesschau, WENN die Kinder dann komplett bettfein im Bett liegen. Und über löchrige Socken und nicht angezogene Winterjacken rege ich mich ohnehin schon lange nicht mehr auf.
So die Theorie … Natürlich müssen sie nicht alles allein machen. Wir werden weiterhin für sie einkaufen, kochen und dergleichen, aber uns eben eine Woche lang auch nicht mehr Arbeit machen und aufregen als nötig.
Was meint Ihr, klappt das?
Es war tatsächlich Zufall, aber dieses Experiment passt hervorragend zum Interview des Gatten drüben bei Patricia.
Hier noch mal alle Berichte des Experiments:
Einleitung | Tag 1 | Tag 2 | Tag 3 | Tag 4 | Tag 5 | Tag 6 | Tag 7 | Tag 8 | Fazit
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Da die Söhne Hauptfiguren dieser Blogartikelreihe sind, mittlerweile aber schon ziemlich gut mitlesen können und eine genaue Vorstellung davon haben, was sie von sich im Netz lesen wollen und was nicht, werden diese Artikel vor Veröffentlichung mit ihnen besprochen und lektoriert. Auch wenn ich es richtig blöd finde, wenn ein guter Witz von ihnen gestrichen wird und rausfliegt.
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Um der Verdummung durch zu viel digitale Medien entgegen zu wirken – der Sponsor dieser Reihe ist die SZ Familie.
Ein kleiner Nachtrag noch zum Medienexperiment in diesem Haushalt. Ein ziemlich unerfreulicher Nachtrag, um es gleich vorweg zu sagen. Denn gestern ist passiert, womit ich schon länger gerechnet habe. Ich habe nachts ein Geräusch gehört – und zwar so ein Geräusch, das Eltern und Gamer sofort erkennen, so ein *düdelüt* aus einem digitalen Spiel, ein *düdelüt*, das typischerweise bei einem Levelwechsel zu hören ist, ein kurzer Jingle. So kurz, dass man ihn sich nicht einmal merkt und einem bestimmten Spiel zuordnen kann, aber man weiß beim Hören doch augenblicklich und sicher, dass da in der Nähe gerade gespielt wird. Auch in der S-Bahn hört man etwas in der Art ab und zu, da guckt man dann mangels Zuständigkeit vielleicht nicht einmal hin, sollen die da doch alle spielen, was immer sie wollen, man kann ja schließlich nicht die ganze Stadt erziehen.
Ich habe also ein überhaupt nicht zu verkennendes Levelwechsel-Düdelüt gehört. Nur dieses eine Geräusch, sofort danach wurde der Ton abgestellt. Das kenne ich schon von meinen sinnlosen Mittagsschlafversuchen am Wochenende, wenn die Kinder leise sein sollen, versehentlich kurz an unerwarteter Stelle ein Ton aus dem Tablet kommt und sofort wieder abgewürgt wird. Wach bin ich dann natürlich dennoch. Und das klappt eben auch nachts, das ist der leichte Schlaf der Erziehungsverpflichteten, Sie kennen das vielleicht.
Jetzt also digitale Medien in stockdunkler Nacht und damit definitiv weit, weit im roten Bereich, da gab es für mich nichts mehr zu diskutieren. Da war ich sehr schnell sehr wach, denn zu viel ist nun einmal zu viel. Ich kann beim Thema Medien manche Eskalation mit Humor nehmen, auch lange Wochen ganz ohne Regeln. aber nächtliche Sessions mit dem Tablet möchte ich dann definitiv doch nicht – und zwar auf gar keinen Fall. Irgendwann muss man allzu offensichtlichen Suchtgefahren ernsthaft und vehement begegnen. Ich bin also mit erheblicher Wut im Bauch aufgestanden und knurrend zum Kinderzimmer marschiert, ich habe dort die Tür aufgerissen – und zwei friedlich schlafende Kinder vorgefunden.
Das Geräusch kam aber wieder, es war überhaupt nicht zu überhören, es war sogar ganz deutlich und nah. Von vor dem Fenster kam es, wo eine Amsel oder sonst ein verfrühter Vogel auf einem Schornstein saß und *düdelüt* machte. Wer weiß, vielleicht zeigte dieses Geräusch auch bei dem Vogel einen Levelwechsel an, vom Single zum Paar oder so, das kann durchaus sein. Die Uhr auf dem Handy zeigte die äußerst unschöne Zeitangabe 04:25. Die Söhne schliefen dann noch zwei Stunden, die Herzdame noch anderthalb. Tablet und Smartphone lagen unberührt im Wohnzimmer und schliefen auch. Der Vogel machte vor dem Fenster immer weiter und mit hörbar wachsender Begeisterung sein frühlingshaftes *düdelüt*, und ich hatte endlich genug Zeit, einmal gründlich über die Frage nachzudenken, ob diese ganze Mediendiskussion die Eltern nicht vielleicht im wörtlichen Sinne verrückt macht.
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