Hochgucken, Tag 2

Heute saß mir eine Japanerin in der S-Bahn gegenüber oder sagen wir besser eine Frau, die für mich so aussah, als sei sie Japanerin. Was natürlich auch Unfug ist und falsch ausgedrückt, das Gesicht spricht heutzutage gar nicht mehr für die Herkunft, jedenfalls nicht in Millionenstädten. Sie hätte auch Gott weiß woher kommen können, geboren in Finkenwerder, aufgewachsen in Pinneberg. Oder aus Manila, New York, Rio, was auch immer. Eine Frau, deren Gesicht aber an die japanischen Gesichter erinnerte, die ich aus dem Fernsehen kenne, also von früher, als ich noch ferngesehen habe. Wahrscheinlich haben sich die Japanerinnen seit der Zeit nicht signifikant verändert. Sehen die Menschen auch anderswo aus wie in Japan? Was weiß ich.

Eine japanisch aussehende Dame in auffällig feiner Kleidung, sie hätte einem Modeprospekt entsprungen sein können, Abteilung Kostümchen und fortgeschrittener Business-Chic. Eine japanisch aussehende feine Dame mit dezenter Dauerwelle im lackschwarzen, kurzgeschnittenen Haar.

Die Dame, sie war 40 Jahre alt, wie ich jetzt mal eben festlege, immerhin kann ich hier an fremden Leuten herumdefinieren, was immer ich möchte, aß einen Apfel. Einen rotbäckigen Apfel, der nicht so glänzend aussah wie ein polierter und gewachster Import-Apfel mit diesem unangenehmen Plastiklook. Eher so ein etwas dumpfes Biorot, gesund aber leicht stumpf, fast könnte man von einem Boskooprot sprechen. Sie biss in den Apfel und sah dabei ausgesprochen vergnügt aus, als wäre das morgendliche Verspeisen eines Bio-Apfels eine Quelle verblüffender Belustigung. Sie biss, sah aus dem Fenster, strahlte, lachte sogar ein wenig. So ein selbstvergessenes Lachen, das einem nur herausrutscht, wenn man äußerst gut gelaunt ist.

Unsere Blicke trafen sich und sie nickte mir ein wenig zu, weil sie sah, dass ich ihr Lachen bemerkt hatte. Blitzende Augen, Grübchen an den Mundwinkeln, sie biss wieder ab und kaute. Sah mich weiter an und lächelte und da hätte ich sie fast so people-blog-mäßig gefragt, ob sie etwas gegen ein Foto hätte, ein Foto, um dieses Apfellächeln zu dokumentieren und anderen zeigen zu können. Fast hätte ich sie gefragt,. sie sah mich so an, als wäre es ganz leicht gewesen, mit ihr ins Gespräch zu kommen. Es gibt immerhin auch Stimmungen, in denen das leichter als sonst ist und Menschen, die morgens in der S-Bahn so lachen, die sind womöglich tatsächlich ansprechbar, wer weiß. Das würde man nur herausfinden, wenn man tatsächlich fremde Menschen ansprechen würde.

Ich finde es also nicht heraus.

Unbenannt

7 Kommentare

  1. Ich hoffe (und glaube es eigentlich auch), Sie haben zurückgelächelt? Meist reicht das, um den ganzen Tag ein bisschen heller (und weniger februarblöd) zu machen…

  2. Na das ist doch ein echter Fortschritt, ein Lächeln, das nicht irgendjemandem galt, sondern Ihnen! Und heute scheint die Sonne, so doof ist der Februar doch dieses Jahr gar nicht, oder?

  3. MMn ein versöhnlicher Schluss, denn „Ich finde es also nicht heraus.“ bedeutet nicht: „Ich finde es also NIE heraus.“
    Gut so! Man(n) soll ja nie nie sagen… So, und beim nächsten Mal biste auf die Dame vorbereitet und fragst sie entsprechend „well prepared“ und in umwerfend charmant-natürlicher Art, ob du sie samt ihrem einmaligen Apfellächeln mal just in diesem Moment knipsen darfst. Kriegste hin, oder? Zur Not sagste, du suchst gerade nach einem neuen „Gesicht“ für eine Apfelsaftwerbung und hättest es soeben gefunden … 😉
    Wie auch immer – hochgucken ist gar nicht so schlecht, oder? Mach mal weiter, bestimmt wirst du sie wiedersehen und doch noch ein Foto machen können. Viel Glück!

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