Gelesen, vorgelesen, gesehen, gespielt und gehört im April

Gelesen

Saša Stanišic: Vor dem Fest. Das ist natürlich schon so gut wie überall besprochen worden, da muss man nicht ganz vorne anfangen. Ich kann mich da eh nur noch dem Reigen der Gratulanten anschließen, das ist ein großartiges Buch. Eine Dorfgeschichte aus dem Osten Deutschlands, eine erzählerische Großtat nach jahrelanger Arbeit, eine Lesefreude. Ein Buch, bei dem man nach dem ersten Drittel mit Vergnügen auf den Rest guckt und sich denkt: “Hach, schön dick noch.” Wenn Sie es nicht schon gelesen haben und in diesem Halbjahr nur ein Buch kaufen – nehmen Sie dieses. Das erste dicke deutsche und moderne Buch seit langer Zeit, das mir richtig Spaß gemacht hat. Zu dem Buch später im Monat noch mehr.

Sherhij Zhadan: Hymne der demokratischen Jugend. Aus dem Ukrainischen von Juri Dokor und Sabine Stöhr. Das sind Geschichten aus der Zeit des Umbruchs nach dem Zerfall der Sowjetunion. Harte Geschichten aus einem harten Land und aus einer harten Zeit. Das Buch hat es in sich, Spaß geht anders. Das ist diese Art von Härte, die wir uns in unserem Plüschland vermutlich gar nicht vorstellen können.

Heinrich Heine: Memoiren. Unter anderem deswegen interessant, weil Sohn I es so interessant findet. Weil der Herr nun einmal das Gedicht von der Loreley geschrieben hat, das ihm ganz außerordentlich zusagt, ist er auch an dem Leben von Heine interessiert. Und fasziniert von dessen Schicksal, auch wenn er nur wenig davon weiß. Von den Reisen, von der Krankheit, von der Matratzengruft. Von der Verbindung zu Hamburg. Ich habe ihm aus den Memoiren ein paar Sätze vorgelesen, ich musste dabei mehrmals bestätigen, dass das wirklich Sätze von Heine waren und er ist damit also der erste Dichter, der dem Kind als historische Figur halbwegs vorstellbar wird. Den gab es also in echt. Der hat irgendwo gelebt, als hier alles noch ganz anders war. Mit Adel und König und so. Der hatte Eltern, der hatte Krankheiten, der hatte ein Leben. Den gab es ganz richtig wirklich – die Loreley aber nicht. Man sortiert es sich so allmählich zurecht. Ein Märchen aus alten Zeiten.

Rüdiger Safranski: Goethe – Kunstwerk des Lebens. Klingt auf den ersten Blick vielleicht nicht gerade wie beste Unterhaltung, ist es aber. Rüdiger Safranski gehört zu den hochgebildeten Menschen, die sich in wunderbar einfacher Weise verständlich machen können. Ein bemerkenswert flüssiger Stil, da perlt das Wissen, es ist die reinste Freude. Keine Bildungshuberei, kein Standesdünkel, keine Sekundärliteraturhölle, sondern einfach Goethe aus den Quellen der Zeit. Kein simples Buch, Goethe war eben auch kein simpler Typ, aber es wird auch nichts verkompliziert. Das Buch richtet besonderes Augenmerk auf Goethes Bemühungen, nicht nur das Werk, sondern auch das Leben als Kunstwerk einzurichten und man bekommt beim Lesen durchaus Lust, sich selbst weniger mit Unfug abzugeben und seine Zeit sinnvoller zu nutzen. Schadet also vermutlich nicht. Auch wenn aus dem eigenen Leben ganz sicher kein Kunstwerk mehr, sondern nur noch das Pendant zu Gekritzel wird. Egal. Wer immer strebend sich bemüht und so.

Isabel Kreitz: Die Entdeckung der Currywurst. Ein Comic nach einem Roman von Uwe Timm. Wohl das einzige Buch, das ich jetzt als Roman, als Theaterstück und als Comic kenne. Oder ist es auch schon verfilmt worden und ich habe das verdrängt? Bestimmt, oder? Mit Veronica Ferres als Frau Brücker, wie sollte es anders sein. Klingt schon so nach ZDF-Zweiteiler. Hat mir gefallen, dieser Comic, ausgezeichnete Bettlektüre. Macht glatt Lust auf weitere Literaturumsetzungen dieser Art. Wobei mir wirklich jede Sachkenntnis fehlt, um den Comic irgendwie im Rahmen seines Genres zu beurteilen. Keine Ahnung von der Materie. Bekomme bei so etwas aber doch verlässlich heftigen Neid auf Menschen, die zeichnen können. Schlimm.

Vorgelesen

Twitter und Facebook. Klingt natürlich komisch, aber tatsächlich wollte Sohn I jetzt doch einmal genau wissen, was da so passiert und wer da was schreibt und wie das geht. Und was der Unterschied zu einer Mail ist und wieso es bei Instagram nur Bilder gibt und wieso da eigentlich auch Google Plus offen ist, aber nie von mir angesehen wird. Und warum ich bei Watchever nicht den ganzen Tag Filme gucke, ich dürfte das doch? Alle? Und warum er bei der App der Tagesschau eigentlich nicht alle Filme anklicken darf, Nachrichten sind doch wichtig? Und dann das mit dem Feedreader, da wird es aber schnell zu kompliziert. Ich habe ihm also ein paar Facebookmeldungen und Tweets vorgelesen, von den Menschen, die er kennt. Fand er alles total logisch. Und einfach. Habe ich wohl die richtigen Stellen ausgewählt.

James Krüss: Der Leuchtturm auf den Hummerklippen. Das ist noch ein Spezialfall, denn Sohn I kennt einen Neffen von James Krüss, darüber wird auch lange nachgedacht. Ob das Helgoland in dem Buch nun identisch mit dem Helgoland unserer Reisen ist? Wen gab es wirklich, wen nicht, was gab es wirklich, was ist echt, was ist ausgedacht. Und macht das was aus? Davon abgesehen ist es natürlich sowieso immer eine Freude, James Krüss wieder zu lesen. Ich habe die Bücher als Kind gelesen und alle paar Seiten dämmert eine Erinnerung, das macht Spaß.

Gesehen

Nichts. Macht nichts.

Gespielt

Viele Buchstaben- und Zahlenspiele, das finden gerade beide Söhne toll. Was fängt mit welchem Buchstaben an, was hört mit welchem auf, wie viele Silben hat dieses Wort. Wenn das drei Silben sind und ich lasse eine weg, dann bleiben wie viele übrig? Und wie heißt das Wort dann? Wie spät ist es, welcher Monat ist es und welcher Tag kommt morgen. Im Grunde das ganze Vorschulprogramm, das gilt hier gerade als Freizeitvergnügen. Die Sache mit der Anlauttabelle. “Sag mal Wörter mit K am Anfang?” “Couch, Clown, Cars.” Läuft.

Uno. Immer wieder Und noch einmal und noch einmal. Im Grunde ist das hier die reinste Zockerhölle.

Und Fußball. Die WM macht sich bemerkbar, das Fußballinteresse der Söhne steigt doch deutlich an. Da kann man den Sport als Eltern noch so sehr ignorieren, da kommt man nicht gegen an. Und während die Söhne sonst wenigstens für den FC St. Pauli sind, spielt jetzt doch die Nationalmannschaft eine Rolle. Nun ja. Es ist alles nur eine Phase.

Gehört

“Nancy & Lee 3”. Das Album, das Nancy Sinatra und Lee Hazlewood nach langer Trennung wieder gemeinsam aufgenommen haben. Das ist vermutlich auch sehr gute Automusik. Ich habe sie nur am Schreibtisch gehört, aber das wird demnächst auf der Fahrt ins Heimatdorf gestestet. Wenn ich dabei nicht wieder so schlimme Dinge wie die “Drei Fragezeichen Kids” oder so etwas hören muss. Natürlich sind aber die ganz alten Aufnahmen von Lee und Nancy auch schön, keine Frage. Schön und seltsam.

Ansonsten abendelang unentschlossenes Herumhören, ich komme gerade auf nichts, das mir wirklich gefällt. Schlimm.

 

9 Kommentare

  1. Zum Thema Comics, falls du dein Wissen da vertiefen möchtest. „Comics richtig lesen“ und „Comics neu erfinden“ von Scott McCloud sind sehr lehrreiche und unterhaltsame Theoriecomics. Haben mir einige Aha-Erlebnisse beschert.

  2. Wörterkette spielen! (Kindergarten – Gartenschlauch – Schlauchboot – usw.) Auch für die Großen lustig.

  3. die Anlauttabelle ist die Hölle – jetzt in der 3. Klasse kämpfen die Kinder mit der Rechtschreibung. Ohne Elternhilfslehrerei geht gar nichts.

    wir spielten schon vor Jahrzehnten Tierketten bilden, geht wunderbar auf langweiligen Auto-/Busfahrten: Der Endbuchstabe wird zum Anfangsbuchstaben: Elefant- Tieger – Ratte – Ente – (schon wieder E!)…

  4. Herumhören
    Vielleicht gefallen Ihnen diese Jungs ja – ich bin seit ein paar Monaten großer Fan von Astridir, eine isländische Band.
    Mein Favorit ist momentan: Ro, aufgenommen in einem still gelegten Kraftwerk.
    Einen schönen Gruß aus Düsseldorf,
    Teresa Boettger

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