Ich sitze am Nachmittag an meinem Schreibtisch unterm Dach im Elternhaus der Herzdame und tippe, die Söhne kommen aufgeregt angelaufen und erzählen, dass an der Straße so seltsame Kugeln liegen, sehr viele davon sogar. In verschiedenen Farben! Sie möchten bitte Eimer haben, um sie aufzusammeln. So Kugeln? Was denn für Kugeln?
Das wissen sie nicht, so bunte Kugeln eben. Also gehe ich mit und sehe mir die Kugeln an: Mirabellen aus dem Garten nebenan. Die kennen die Stadtkinder nicht, es wurde wohl höchste Zeit, dass wir wieder aufs Land gefahren sind, ihre Kenntnisse müssen dringend ein wenig erweitert werden. “Ah, de Hamborger Lüüd” höre ich neben mir, als ich in den Baum hinaufsehe, das höre ich hier immer, wenn ich mit der Herzdame und den Söhnen die Dorfstraße entlang gehe. “De Hamborger Lüüd”, man mag sich gar nicht vorstellen, dass wir hier die Stadt repräsentieren, am Ende müssen wir uns deswegen noch anständig benehmen.
Zwei ältere Damen stehen da unterm Mirabellenbaum und versuchen, ein paar Früchte zu ernten. Das klappt aber nicht so gut, denn die beiden Damen sind recht klein. Sie ziehen energisch an den Ästen, schütteln sie und machen lange Arme, das Ergebnis ihrer Bemühungen ist dennoch überschaubar. Wir werden sofort rekrutiert, wir werden auf der Stelle Mirabellenerntehelfer, die Jungs sind begeistert.
Die Damen holen eine kleine Leiter, die Söhne holen Eimer und hängen kurz darauf im Baum und pflücken und pflücken. Die beiden Damen wirken etwas marypoppinshaft, wie sie da so unterm Baum stehen, nach oben äugen und komplett widersprüchliche Anweisungen geben. Mehr nach links, mehr nach rechts, das müsst ihr anders machen, nein, so wird das doch nichts, ihr müsst mehr hier rüber, mehr nach da hinten. Zwischendurch fällt einer der Damen ein, dass sie eher leicht und etwas provisorisch bekleidet ist und zudem noch riesige Lockenwickler im Haar hat, das mit der Mirabellenernte hat sich in diesem Jahr anscheinend eher spontan ergeben. Eigentlich wollten die beiden wohl nur ganz kurz nach dem Baum sehen. “Kann ich mich so überhaupt draußen sehen lassen?” fragt sie die andere Dame, rafft ihren Morgenmantel zusammen und fasst sich besorgt ins aufgewickelte Haar.
Die andere antwortet nach kurzem Blick auf Kleidung und Frisur: “Von deinem Anblick geht eh keiner mehr tot. Das ist völlig egal.”
Ich mag die Umgangsformen hier sehr. Es dauert nur ein paar Jahre, bis man sich daran gewöhnt.
Ich sehe Socken in Sandalen 😉
Hoffentlich konnten die Jungs auch ein paar Kugeln futtern.
Hach. Vielen Dank für die Berichte aus der alten Heimat, da merke ich wieder, warum ich erstens diese Gegend und die Menschen dort liebe und zweitens weggezogen bin.
Aber eigentlich habe ich nur wegen des Ha-Ra Eimers kommentiert, so was habe ich schon seit Jahrzehnten nicht mehr gesehen.