Gelesen
Immer noch weiter in Safranskis “Das Leben Goethes” und parallel in Goethes “Dichtung und Wahrheit” und wenn es so weitergeht, dann schreibe ich das wohl noch montelang. Schön.
Egon Friedell: Kulturgeschichte der Neuzeit. Daraus lese ich nur alle paar Wochen ein paar Seiten, aber es ist immer anregend, es bringt mich immer auf Gedanken, es ist immer grandios. Der Herr hat einen so unfassbar riesigen Wortschatz, man ist geradezu im Bällebad der Vokabeln.Und sollte man einen gewissen Adjektivdurst haben, ein paar Seiten Friedell genügen und der Tank ist auf Tage hinaus wieder voll.
Françoise Sagan: Ein gewisses Lächeln. Deutsch von Helga Treichl.
Die Sagan schreibt so, wie es sich anfühlt, Jules und Jim zu sehen. Es geht selbstverständlich um die Liebe, was sonst.
Georges Simenon: Maigret amüsiert sich. Deutsch von Renate Nickel. Maigret hat Urlaub und leidet daran, wie alle Workaholiker. Er geht durch die Stadt und fühlt sich unwohl, versteht nichts mit sich anzufangen und sieht irritiert auf den Alltag, in dem er nichts zu tun hat. Ein vollkommen verständlicher und nachvollziehbarer Buchanfang. Dann passiert natürlich etwas und da er Urlaub hat, umkreist er den Fall nur vom Rand des Geschehens. Eine der Romane, in denen seine Madame häufiger vorkommt, weil er nicht ins Büro geht. Das Beziehungsleben der beiden wird vollkommen nebenbei vorgestellt und dennoch könnte man Aufsätze darüber schreiben. “Madame Maigret hatte nie Durst. Aber sie trank immer mit.” Die Krimihandlung stört da eher.
Ilse Helbich: Fremde. Die Dame kenne ich durch ein Radioninterview, das ich vor Jahren auf der Autobahn gehört habe. Da fiel sie mir auf, weil sie so klar und präzise sprach und weil sie so interessante Antworten auf Fragen zum Alter gab. Und ich habe mir ihren Namen tatsächlich zwei Jahre lang gemerkt, bis mir jetzt endlich ein Buch von ihr in die Hände fiel. Sie scheint in Interviews regelmässig interessant zu sein, siehe hier und hier, dann kann man sich das besser vorstellen. Mehr zum Buch “Fremde” findet man beim Perlentaucher. Ähnlich wie beim Spätwerk von Sarah Kirsch mag ich die Ruhe in den Texten. Die Ruhe und die Abgeklärtheit, die nie in Ennui oder arrogante Verachtung kippen. Damen, die nicht mehr geschrieben haben, weil sie es mussten, sondern weil sie es konnten. Sehr schön. Manchmal ein paar Sätze, in denen sie sich ähneln, die Damen, ganz deutlich sogar. Dann geht es wieder weit auseinander, koboldhaft vergnügt die Kirsch, würdevoll gelassen die Helbich. Bei der Helbich ist der Tod in den Texten sehr präsent, bei der Kirsch spukt er nur gelegentlich durch die Szene.
Horst Evers: Für Eile fehlt mir die Zeit. Ein Badeseebuch. Es handelt nicht von Badeseen, nein, aber man kann es prima an einem Badesee in einem Rutsch durchlesen. Das perlt. Früher gab es übrigens an Badeseen oder anderen Ausflugsorten oft eine der beiden Limos, die es sonst nie gab, nämlich Mirinda oder Sinalco. Die schmeckten etwas anders als die sonst restaurant- oder familienfeiertypische Fanta, die waren immer etwas besonders, die hatten diesen Geschmack, an den man sich nie ganz gewöhnen konnte, weil es nie genug davon gab. Das trank sich also wie eine Jahrgangslimo und in diesem Sinne ist Horst Evers die Mirinda unter den deutschen Kolumnisten.
Carl Christian Elze: Aufzeichnungen eines albernen Menschen. Dazu hier eine schöne Rezension. Das gefiel mir sehr, das ist wunderbar schräg bis grotesk, dabei in einem betont nüchternen, geraden Ton verfasst. Wenn der Herr hier mal liest – da gehe ich auf jeden Fall in.
Hans Christian Andersen: Märchen. Das habe ich gelesen, weil ein Kind auf meinem Arm eingeschlafen war und ich das Handy nur noch halbwegs bedienen konnte, daher kam ich im Verzeichnis der Autoren in der Ebookbibliothek nur bis A. Die Märchen von Andersen habe ich seit der Jugend nicht mehr gelesen. Ich finde sie immer noch sprachlich wunderbar eingängig, besser kann der Ton für so etwas kaum getroffen werden. Und was für schöne Geschichten. Immer wieder hatte ich beim Lesen seltsam bunte Erinnerungsfetzen an die Illustrationen der Ausgabe, die ich früher mal besessen habe. Als würde man bei einer Kamera oder bei einem Beamer am Fokusring spielen und ganz schnell drehen, man sieht das Bild unscharf, unschärfer, schärfer, halt, scharf! – und da hat man aber schon weiter gedreht, ohne das Bild recht gesehen zu haben. Ich kann mich nicht richtig erinnern,werde aber das Gefühl nicht los, mein Unterbewusstsein weiß es ganz genau. Wenn ich nicht hindenke, dann weiß ein Teil von mir doch, wie die Bilder aussahen, ich merke das. Wenn ich aber darüber nachdenke, fällt mir nichts ein. Das Gehirn ist eine komische Sache.
Hans-Ulrich Treichel: Frühe Störung. Ich bin ja ein großer Fan von Herrn Treichel, von dem man meiner Meinung nach alles lesen sollte, auch die Lyrik, auch die Vorlesungen. Dieser Roman ist von den Feuilletons ordentlich vermöbelt worden, z.B. weil der Herr Treichel so monothematisch schreibt, das kann ich ihm allerdings nicht übel nehmen, ich verstehe das ganz gut. Und weil der Held des Buches kein Held ist, sondern eine eher jämmerliche Figur, das scheint nicht statthaft zu sein, da darf man sich kurz über die Kritiken wundern. Ich-Erzähler müssen wohl strahlen, glänzen und siegen? Sympathisch sein? Bitte was? Humor wird Treichel allenthalben attestiert, das immerhin. Wobei er kein Humorist ist, sondern ein sehr ernster Humorinhaber, das ist etwas anderes und erzsympathisch ist es auch. Mir gefällt das erste Drittel des Buches, weiter bin ich noch nicht. Ein Mann wird die Stimme seiner Mutter nicht los, hat sie dauernd im Ohr und lässt sich deswegen therapieren. Denkt beim Therapeuten darüber nach, ob es eigentlich besser ist, ein schwerer oder ein leichter Fall zu sein, beides hat immerhin Vorteile und Nachteile, und ich könnte dieser Art des Nachdenkens seitenlang folgen, andere scheint das eher zu irritieren. Das Gute ist, dass man dieser Art des Nachdenkens im Buch tatsächlich seitenlang folgen kann. Und das mache ich dann auch.
Vorgelesen
Gecko. Es ist überhaupt eine Schande, dass ich Gecko noch nie hier erwähnt habe, Gecko ist nämlich eine tolle Sache und bei uns seit Jahren im Einsatz. Eine werbefreie Bilderbuchzeitschrift, die Kinder von vier bis etwa sieben Jahren anspricht. Hier die Seite des Magazins. Das ist bei den Söhnen sehr beliebt und die ausgelesenen Ausgaben werden nicht schlecht, die kann man immer wieder hervorkramen und noch einmal lesen.
Dimiter Inkiow: Ich und meine Schwester Klara: Die schönsten Geschichten zum Vorlesen. Mit Bildern von Traudl und Walter Reiner. Das kannte ich gar nicht, das scheint aber sonst jeder zu kennen. Kindgerecht groteske Geschichten in der richtigen Länge für die Bettkante und vor allem Geschichten die, das ist wirklich selten, für Sohn I und auch für Sohn II passend sind und auch tatsächlich beiden gefallen. Halleluja.
Gesehen
“Petterson und Findus”. Die Kinopremiere von Sohn II, er fand den Film sehr gut. Für Kinoeinsteiger gut geeignet, da sehr ruhig. Wirklich ruhig. Himmel, ist das ruhig. So ruhig, dass man als Begleitvater prima zwischendurch die Augen zumachen kann.
Gespielt
Mau Mau. Also die Steigerung von Uno, jetzt endlich ein Spiel mit richtigen Karten ohne alberne Tierbilder darauf. Und ich musste doch tatsächlich die Regeln nachlesen.
Tollabox. Eine Test-Tollabox wurde mir freundlicherweise von der Firma zugesandt, die haben wir uns dann an unseren Zwischenstopp-Tagen in Hamburg näher angesehen. Genau genommen haben wir sie uns exakt einen Vormittag lang angesehen, mehr Zeit war gar nicht. Das hat aber ausgereicht, um die Kinder zu begeistern, die fanden den Inhalt ziemlich super. Sie haben mit dem Inhalt Eis gemacht und Spiele gespielt und eine CD gehört und ich weiß gar nicht mehr, was sie alles gemacht haben, aber sie waren damit schwer beschäftigt und so soll es ja auch sein. Charmant ist natürlich das Unerwartete, in einer Tollabox sind eben Dinge, die man nicht ausgesucht hat. Und diese Dinge kann man so verwenden, wie es der Beipackzettel vorschlägt, man kann also etwa die Wackelaugen auf beliebiges Obst oder Gemüse kleben, siehe Bildbeweis.
Man kann aber auch noch kreativer werden und die Wackelaugen auf Familienfotos kleben, das steigert den Spaß dann noch einmal beträchtlich. Ich fand den Inhalt gut gemacht, gut ausgesucht und auch gut aufbereitet, das hat bei mir und den Jungs einen hervorragenden Eindruck hinterlassen. Zumal man die Freude, ein Paket zu bekommen, nicht unterschätzen darf, die Sachen in dem Paket sind automatisch erst einmal mehr wert als andere Spielsachen. Weil sie Post für die Jungs waren, weil sie ein Paket aufmachen konnten. Das ist banal, aber vollkommen verlässlich, das klappt übrigens auch, siehe oben, bei der Gecko.
Gehört
George Ezra. Ein junger Sänger, dessen Jugend man nicht hört: “Budapest”. Feine Landstraßenmusik. Aber auch schlimmster Ohrwurm des Monats. Wenn ich den noch einmal anmache, die Familie wirft mich vermutlich raus.
Nicola Conte. Der macht loungiges Zeug mit Retrodeko, das kann man hervorragend nebenbei hören, besonders wenn es draußen glaubwürdig nach Sommer aussieht.
Sowohl George Ezra als auch Nicola Conte waren übrigens Tipps aus dem Kulturspiegel. Ungefähr einmal im Jahr kaufe ich mir einen gedruckten Spiegel um zu sehen, ob es am Ende doch wieder ein lesbares Magazin geworden ist. Aber kein Gedanke, diese beiden Tipps waren das einzige, was ich interessant fand. Es gab mal Zeiten, da habe ich den Spiegel von vorne bis hinten gelesen. Das muss mittlerweile aber schon sehr, sehr damals sein.
„Bällebad der Vokabeln“ – wunderbar. der friedell, genauer die ausgabe meines großvaters, steht hier im regal. den werde ich mir mal vornehmen demnächst.
und frau helbich war mir bedauerlicherweise noch nicht begegnet, das ändert sich jetzt aber ganz schnell. ich habe sofort ein buch von ihr bestellt.
danke für die anregungen!
Danke, wie immer.
An diese Spiegel-Zeiten kann ich mich ebenfalls noch erinnern. Nun ja.
Wenn es um schön illustrierte Märchenbücher geht, empfehle ich dringend jene von Anastassija Archipowa, erschienen bei Esslinger. Stilistisch grandios ist auch Gennadij Spirin, dessen Bilderbücher sich auf verschiedene Verlage verteilen.
Von all den schönen Anregungen greife ich mir *le tourbillon* raus – einer meiner Lieblingschansons. Übrigens auch herrlich in der Version von Vanessa Paradis…
ich hoffe, gecko bleibt bei mir nun auch rund zwei jahre im gedächtnis, bis das kind vier ist.