Sohn I macht sich Gedanken über sein Essen. Er fragt nach, er hört zu, er lässt sich das alles erklären. Das mit der Massentierhaltung z.B. und auch das mit der Nahrungsindustrie. Wie wird das alles hergestellt? Er kann noch nicht alles verstehen, natürlich nicht, aber was er versteht – das findet er überhaupt nicht gut. Und er beschließt, was viele Kinder in seinem Alter beschließen: Er isst jetzt kein Fleisch mehr. Wenn das so hergestellt wird, nein, dann möchte er das lieber nicht. Die armen Tiere! Die Umwelt! Er verkündet seinen schnell gefassten Beschluss und geht an meiner Hand die Straße entlang, froh und glücklich, die Welt ein Stück besser gemacht zu haben. Das war doch gar nicht schwer, er ist ganz vergnügt. Bis er Hunger bekommt.
Da wird er schwach, da möchte er doch gerne und auch einigermaßen dringend etwas vom Imbiss da vorne. Mit anderen Worten, er ist jetzt ein Wurstbudenvegetarier. Voll der guten Gedanken und Absichten, stets nur seinen Idealen folgend – mindestens aber bis zur nächsten Versuchung. Es wäre jedoch ganz falsch, darüber zu lachen. Wir sind alle Wurstbudenvegetarier. Wir sind alle voll vom Wissen, wie es besser zugehen kann auf der Welt, gerechter, gesünder, friedlicher. Und nützt das der Welt? Es sieht nicht so aus. Auch unsere Ideale reichen nämlich stets nur bis zur nächsten Wurstbude, bis zum nächsten Streit oder zum nächsten „Ach, mir doch egal.“
Darüber habe ich mit dem Sohn gesprochen. Er hat darüber intensiv nachgedacht, auch mit sieben Jahren versteht man den Konflikt schon ganz gut. Und dann hat er es immerhin noch eine Wurstbude weiter geschafft. Denn der Mensch an sich, er ist wirklich immer voll der besten Absichten. Wenn er sich Mühe gibt, dann schafft er es meist noch ein Stück weiter. Und da in Kinder unsere Zukunft steckt, schafft die Menschheit das womöglich auch. Zumindest irgendwann. Zumindest theoretisch.
(Der Text erschien als Kolumne in den Lübecker Nachrichten und in der Ostsee-Zeitung)
Ach, ich bin 23, esse vegan – und musste beim Familienfrühstück heute morgen schwer kämpfen, nicht wimmernd kopfüber in die Salamiplatte zu tauchen.
Unterstützt ihr ihn denn dabei oder bleiben ihm (wie mir seit Jahren…) Zuhause dann nur Brot mit Marmelade/Käse und trockene Nudeln? Das würde ich mir wünschen – und ich wünschte, meine Familie hätte in Teeniejahren nicht jede meiner Mehlzeiten kritisiert bis „endlich wieder normal“ gegessen habe. Das nagt an mir und belastet das Vetrauensverhältnis nachdrücklich. Klar ist ein Grundschulkind da anders, aber nun…
Er hat da in mir schon einen vegetarisch sehr interessierten Partner. Aber das ist hier eine Familie, in der jeder unterschiedliche Vorstellungen von Ernährung hat, insofern gibt es da auch Abwechslung. Meist gewinnt allerdings der Koch mit seinen Vorstellungen – also ich.
Wir sind heute an der neuesten Harburger Flüchtlingsunterkunft (eine Containersiedlung) auf dem Schwarzenberg vorbeigefahren. Die steht sehr zentral, vielleicht ist das gar nicht schlecht, damit man das nicht immer „aus dem Auge verlieren“ kann.
Da schämte ich mich ein bisschen, denn natürlich wussten die Kinder auch genau, was man tun müsste. „Mama, die können doch bei uns wohnen. Eine Familie würde bestimmt reinpassen.“ Ja …
Zwei Wurstbuden auf einem Heimweg sind aber auch gemein! Den Begriff werde ich mir merken, falls mich das nächste Mal jemand fragt.
Vegetarisch ist extrem anstrengend, wenn man viel reist und außerhalb isst.
Vegan ist bei Reisetätigkeit schon ziemliche selbst geiselung.
Bei mir ist es Faulheit und die Freude an einem guten Steak, die mich vom Fleisch Verzicht abhält.
Und dann sehen wir ein Kind, das auf einem Bauernhof aufwächst. Egal, wie industriell oder ökologisch so ein Kind aufwächst, es sieht, dass Tiere geschlachtet werden um Geld zu verdienen. Dass das getötete Tier die Kleider bezahlt. Dieses Kind weiss, dass es eben keine moralische Schwäche ist, Fleisch zu essen. Dass es irgendwie zum Menschsein dazu gehört, auch wenn andere Menschen das anders sehen. Dass Vegetarier oder Veganer eben nicht moralisch überlegen sind, obwohl sie sich so aufführen.
Wäre interessant zu wissen, wie Sohn I reagiert, wenn er eben nicht im hippen, halbveganen St. Georg aufwächst, sondern im Elbe-Weser-Dreieck auf einem Bauernhof in der Nähe von Hemmoor oder bei den Großeltern in Ostwestfalen, wo Tiere Arbeit bedeuten, sie nicht gestreichelt werden sondern gefüttert, und man morgens noch das Tier gesehen und abends geteilt hat. Wo Fleisch essen keine Schwäche sondern Alltag ist.
Aber das Kind findet Krieg auch ganz doof, in St. Georg sollten viel mehr Spielplätze und viel günstigere Mieten sein. Grönemeyer forderte schon Kinder an die Macht.
Deswegen mag ich keine Stadtmenschen! Ahnungslos und zu viel Gutmensch!
Ähem, ich bin bestimmt kein Stadtmensch. In meinem Elternhaus roch es ständig nach dem Dünger der Nachbarsfelder, Hofläden auf denen von Herz bis Kralle alles verkauft wird sind so normal wie Rinderhirnkekse. Die Martinsgänse kennt man persönlich. In der ersten richtig eigenen Wohnung hab ich aufgegeben, Salat im Garten zu pflanzen, weil Rehe und Wildschweine öfter da sind als ich….
Trotzdem esse ich vegan. Weil das meiste Fleisch eben nicht aus dieser Haltung kommt und das, was mit Hähnen und Kälbern passiert, nicht ok ist. Und ich missioniere nicht, außer man geht mir wirklich auf den Keks. Wer mir erzählt, wie lecker etc pp son blutiges Steak ist, wieder und wieder, kriegt die Wahrheit. Fleisch essen ist doch keine Schwäche, es macht nur keinen Sinn.
Hallo M,
ich verurteile ja auch nicht das vegane Leben. Und wenn jemand keinen Sinn darin sieht, Fleisch zu essen, ist das ja auch okay. Es ging mir ja auch nicht darum sondern um diese Vorstellung, die manche Großstädter von Massentierhaltung haben ohne je einen Stall geschweige denn einen Schlachthof von innen gesehen zu haben.
Stadtmenschen haben ihre beschränkte Sichtweisen und Landmenschen genauso. Ich war mal ein Landkind und bin jetzt Stadtmensch. Habe selbst Schlachtungen gesehen und esse trotzdem manchmal Fleisch, bevorzugt aus biologischer Landwirtschaft ohne Massentierhaltung.
Bin froh, der dörflichen und kleinstädtischen Enge entkommen zu sein, dem hässlichen Klatsch und Tratsch, dem berechnenden Materialismus der Landwirte, der Langeweile für Jugendliche. Jetzt geht mir manchmal die Anonymität der Großstadt, der Lärm und das Überangebot an Konsum auf die Nerven. Aber ich schätze die Bewegungsfreiheit und Liberalität sehr.
Von beidem etwas, also fahre ich hin und her.
… ich habe für die GLS Bank den 198. Wirtschaftsteil geschrieben, den findet man hier. Es geht um ein besonders unangenehmes Thema, es geht um Fleisch. Das ist unangenehm für Vegetarier, Veganer und Tierrechtler, das ist aber auch unangenehm für Fleischesser, weil im Grunde allen klar ist, dass da bei den Produktionsbedingungen etwas nicht ganz stimmt, um es sehr diplomatisch auszudrücken. Man muss also dauerhaft bekannte Informationen verdrängen, um in Ruhe Schnitzel essen zu können, je nach Naturell ist das lästig bis belastend.
Vor Jahren habe ich dazu schon einmal eine Kolumne geschrieben, als Sohn I sieben Jahre alt war und erstmals etwas länger über dieses Thema nachgedacht hat. Mittlerweile ist Sohn II in diesem Alter und das Spiel wiederholt sich, ich verlinke die Kolumne deswegen hier noch einmal, sie ist immer noch passend. Sowohl zum Thema als auch zu den Kindern. Und zu uns allen.
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