Ich muss dringend mehr vorlesen, und zwar den Söhnen. Erwachsenen lese ich bekanntlich auch gerne vor, aber da gibt es überhaupt keinen Zeitdruck. Geschichten von mir kann ich irgendwem irgendwann vorlesen, wann immer ich irgendwo zu einer Veranstaltung eingeladen werde, das passt schon. Aber bei den Kinderbüchern im Regal, da gibt es erheblichen Zeitdruck, wie ich gerade gemerkt habe.
Die Söhne haben ein verblüffend großes und volles Bücherregal im Kinderzimmer, das liegt auch daran, dass sie zu Weihnachten in wunderbarer Tradition Geschenke von den LeserInnen dieses Blogs geschickt bekommen, und das sind oft Bücher. Außerdem schicken ihnen manchmal Verlage etwas zu, und in unserem Stadtteil werden oft Bücher verschenkt und liegen zum Mitnehmen am Straßenrand, da kommt mit der Zeit etwas zusammen. Als ich sechs oder acht Jahre alt war, da gab es in meinem Kinderzimmer nicht annähernd so viele Bücher, wir hatten ja nichts. (Das von obligatorischem Krückstockfuchteln begleitete “Hat es uns geschadet!?” werden Sie sich an dieser Stelle schon selber gedacht haben, nicht wahr. Recht so.)
Ganz unten im Kinderzimmerbücherregal gibt es einen Sockelbestand an Bilderbüchern, für die beide Söhne schon zu alt sind, die aber doch noch geliebt werden und zum gelegentlichen Durchblättern vorhanden sein müssen, etwa die hier schon oft behandelte Riesenbirne von Jakob Martin Strid. Darüber gibt es Sachbücher, Was ist was und dergleichen, dann die Leselernbücher von Sohn I, mit denen fängt Sohn II gerade an, wie für kleinere Brüder typisch startet er früh damit. Daneben viele klassische Geschichte, also Lindgren, Krüss und Konsorten, sowie auch modernere Autoren, die ich noch nicht näher kenne. Und auf dieses Regal bezieht sich das oben erwähnte Alarmsignal, denn auf meine Frage, ob ich vielleicht mal Urmel vorlesen sollte, murmelte Sohn I mit der ganzen Lässigkeit des Achteinhalbjährigen: “Nee, dafür bin ich doch zu alt.”
Über das Urmel ist er schon weg, na klar. Wenn man bei Harry Potter und Superheldencomics und Starwars angekommen ist, dann zieht Urmel wohl nicht mehr richtig. Und wenn Sohn I schon darüber steht, dann will Sohn II das auch nicht, das ist naheliegend. Es sind aber noch eine ganze Menge Bücher ungelesen übrig, die ziemlich genau auf eine etwa sechs- bis achtjährige Zielgruppe passen, die müssen jetzt zügig abgearbeitet werden, bevor die Herren Söhne schon sieben und neun Jahre alt sind, was für sie dann gefühlt schon acht und zehn sein wird, also quasi fortgeschritten jugendlich, so läuft das heute doch.
Deswegen saß ich gestern mit den Jungs auf dem Bett und las gleich ein halbes Buch am Stück vor, manchmal muss man eben Strecke machen. Es gab “Angstmän” von Hartmut El Kurdi, mit Illustrationen von Karsten Teich. Ein Buch über die neunjährige Jennifer, die zum ersten Mal einen ganzen Abend und sogar eine Nacht allein zuhause verbringen muss, was eine prima Gelegenheit ist, um alle verbotenen Sachen zu machen, zu denen sie bisher noch nicht gekommen ist. Dummerweise bekommt sie etwas Angst, so ganz alleine in der Wohnung ist es doch seltsam, und das wird auch nicht besser, als sie jemanden im Wohnzimmerschrank husten hört. Das ist Angstmän, der größte Superheldenschisshase um Universum, der nur durch einen Fehler bei der Bedienung seines Teleporters im Schrank gelandet ist. Angstmän hat quasi vor allem Angst, am meisten aber vor Pöbelmän – und der ist leider auch nicht weit.
Die Geschichte ist perfekt für die Altersgruppe der Söhne, das macht Spaß und man kann zwischendurch hervorragend abschweifen und etwa selbst über verbotene Dinge nachdenken, die uns wirklich Spaß machen würden, so etwas gehört beim Vorlesen auch dazu. Wir wissen noch nicht, wie das Buch ausgeht, nach etwa der Hälfte können wir es aber alle drei eindeutig empfehlen.
Als ich das Buch zuklappte, rief Sohn I begeistert “Zugabe! Zugabe!”, Sohn II stimmte sofort ein. Ich saß minutenlang vor klatschenden und schreienden Kindern, die immer lauter Zugabe riefen. Das ist schon schön, so ein euphorisches Publikum zu haben, denn das hat man im Alltag leider nicht dauernd, dass so freudig aufgenommen wird, was man gerade anbietet. Solche Momente muss man sich ab und zu bewusst machen, dann mag man seine Familie gleich noch mehr. Ich habe mich darüber jedenfalls so gefreut, ich werde heute gleich den Rest des Buches vorlesen.
Und es hat meiner Freude auch nicht geschadet, dass Sohn II seinen großen Bruder irgendwann mitten im Jubel leise nebenbei fragte: “Sag mal, was ist eigentlich ne Zugabe?”
<3!
Danke für den Angstmän-Tipp. Mein Sohn (6) ist allerdings der Ansicht, dass das Buch einen Fehler hat und Pöbelmän in Wirklichkeit Popelmän heisst. Nun ja, man steckt nicht drin….