Wenn ich spazierengehe und gleich vor der Tür runter zur Alster abbiege, komme ich unweigerlich am Atlantic vorbei. Das ist ein altes Fünfsternehotel, das seit Jahrzehnten popkulturell belagert wird, weil man bei seinem Anblick sofort an Udo Lindenberg denkt, der dort zeitweise residierte oder es immer noch tut. Ja, der es vermutlich immer noch tut, jedenfalls sehe ich den Lindenberg öfter hier herumlaufen, da wird also irgendwo noch sein Nest sein, in diesem wunderschönen, weißen Hotel. Nach einer alten Regel wird in jeder Pressemeldung zu Udo Lindenberg immer auch das Atlantic erwähnt – und umgekehrt. Das sind feststehende Wendungen, die lernt man schon im Volontariat. Wenn man junge Journalisten mitten in der Nacht weckt und überraschend fragt, wo der Lindenberg wohnt, dann rappeln die das flüssig runter, dabei müssen sie nicht einmal nachdenken. Selbst wenn sie Lindenberg gar nicht weiter kennen.
Sicher sind im Atlantic, wie in jedem anderen Grandhotel auch, viele, viele Geschichten passiert, es sind immerhin nahezu alle prominenten Figuren aus den letzten Jahrzehnten dort abgestiegen, mit einem recht hohen Anteil von Präsidenten und anderen Weltpolitikern, aber zwanghaft assoziiert man mit diesem Haus immer nur und immer wieder: Udo Lindenberg. “Der wohnt doch im Atlantic, was? Bei euch da?” Ja doch. Wenn Obama morgen ins Atlantic käme, man würde sich nicht fragen, was er in Hamburg macht, man würde sich fragen, ob er den Lindenberg besucht.
Ich finde Udo Lindenberg weder gut noch schlecht, er ist mir eher egal, was nicht einmal abwertend ist, aber man kann sich nun einmal nicht für alles interessieren. Da muss man Prioritäten setzen, ganz ohne Aggression, da muss man sich irgendwann entscheiden und etwa sagen: “Kreuzworträtsel, Pferdezucht und Lindenberg sind eher nicht so meins.” Das ist dann nicht böse gemeint, das spart einfach Zeit.
Aber immer, wenn man da am Atlantic vorbeigeht: Udo Lindenberg. Man überholt Touristen, die mit dem Reiseführer in der Hand vor dem Haus stehen und darauf zeigen und was sagen die gerade: “Da wohnte doch mal der Udo Lindenberg? Oder immer noch?” Ja, ich weiß. Wenn man zur Abwechslung am Gebäude hochsieht, sich konzentriert die schmucke Fassade und die Figuren auf dem Dach besieht und sich phantasiereich ausmalt, was hinter diesen Fenstern wohl schon alles passiert sein mag – dann rennt man den Herrn Lindenberg fast um, weil er gerade aus dem Haupteingang kommt und man nicht aufpasst wo man hingeht, vor lauter Lindenbergvermeidung. Und dann steht er vor einem und sieht so aus, wie er unweigerlich immer aussieht, das Bild hat vermutlich jeder im Kopf, weil er nur in genau einer Version vorkommt, er ist so udolindenbergmäßig Udo Lindenberg, wie es überhaupt nur vorstellbar ist. Und er sagt dann auch noch so etwas wie “Null Problemo” oder “Alles klar auf der Andrea Doria” oder dergleichen, wenn man sich bei ihm fürs Anrempeln entschuldigt, weil er wirklich so spricht, wie man sich das vorstellt. Genau wie der Lindenberg eben. Alles lässig dahergenuschelt, total authentisch, total Lindenberg.
Im letzten Buch von Stuckrad-Barre, ich habe es nicht gelesen, kam Udo Lindenberg prominent vor. Und weil das Buch selbst auch überall vorkam, denkt man jetzt noch mehr an Udo Lindenberg als ohnehin schon, nicht nur ich, sondern alle. Ob man nun möchte oder nicht, er ist der rosa Elefant dieses Viertels, man kann nicht nicht an ihn denken. Jedenfalls nicht, wenn man am Atlantic vorbeikommt. Oder umgekehrt, wenn man den Lindenberg im Viertel auf der Straße trifft, dann denkt man gleich: “Ach guck, der Lindenberg. Der gehört doch ins Atlantic.”
Ich habe das Buch von Stuckrad-Barre übrigens nicht aus Abneigung gegen den Autor nicht gelesen, sondern tatsächlich wegen Udo Lindenberg. Zu viel ist einfach zu viel. Ich meine, ich habe auch aus dem Schlafzimmerfenster Blick aufs Atlantic, ich gucke da also schon beim Aufwachen drauf und abends, wenn ich das Licht ausmache. Auf den Lindenberg in seinem Gehäuse, und das reicht dann irgendwann. Wenn ich morgens Facebook aufmache, fragt mich die App, ob ich gerade im Atlantic sei. Wenn ich auf Facebook mit Udo Lindenberg befreundet wäre, ich könnte uns beide jeden Morgen dort einchecken, da würden meine anderen Freunde aber staunen.
Ich mochte Stuckrad-Barres frühere Bücher sogar ganz gerne, fällt mir gerade ein, ich fand seine Sprache ausgezeichnet. Die Bücher mochte damals sonst keiner, es war irgendwie eine Weile cool, ihn eher doof zu finden, wenn ich es recht erinnere. Ich weiß gar nicht mehr, warum das so war. Jetzt finden ihn alle super und irritierend viele in meinem Bekanntenkreis sprechen völlig distanzlos von “Stucki”, wobei der Name vermutlich auch wieder von Udo Lindenberg kommt. Woher sonst, im Zweifelsfalle steckt Lindenberg hinter allem. Stucki! Ich möchte das nicht. Obwohl – warum soll man Autoren nicht verniedlichen? Wir haben doch damals auch liebevoll von Bölli und Grassi gesprochen.
Haha! Nein, haben wir nicht. Aber die beiden waren auch nicht mit Udo Lindenberg befreundet. Und falls doch, möchte ich es nicht wissen.
Egal. So viel für heute. Euer Buddi.
(Jetzt hat er den Buddi direkt mal selbst gebracht. Was soll man denn jetzt noch Launiges kommentieren?) Grummelnd und grinsend ab.
Danke, Buddi. Beim Lesen geschmunzelt am ersten Montag des Jahres – was will man mehr.
Ich kenne das mit dieser zwanghaften Ort-Promi-Verbandelung sehr gut. Wir gehen oft in Potsdam am Heiligen See spatzieren. Vom Marmorpalais aus kann man sehr schön auf die Villen der Berliner Vorstadt schauen. Mit Besuchern von außerhalb muss man dann zwingend aufs andere Ufer zeigen und sagen: „Guck da wohnt der Jauch und hier der Joop.“
Ich möchte betonen, dass ich bei meiner ersten Fahrt durch Hamburg und am Atlatic vorbei rief: „Das war in meinem Buch“ – wobei die Formulierung natürlich etwas irreführend ist, ich las durchaus mehr als ein Buch in meinem Leben.
Auf jeden Fall gab es ein Kinderbuch, das im Hotel Atlatic spielte: „Gepäckschein 666“. Peter, der neue Page muss abends nach ganz oben und die Lichter in der Weltkugel anmachen und als ich dran vorbeifuhr sah ich die Weltkugel und war sehr zufrieden.
Der Böse im Buch kommt übrigens aus Amerika und heißt Mr Overseas, wenn mich meine Erinnerung nicht vollkommen täuscht.
Wer ist dieser Herr Lindenberg?
Note to myself: abends mehr auf die Weltkugel achten, wie da die Lichter angehen.
Seeeeeeeeeeehr amüsant zu lesen. Man/frau klebt förmlich an dem Text. Ich nehme an, dass es dich, lieber Maximilian Buddenbohm, nun auch nicht interessiert, dass meine Freundin und ich Udo Lindenberg sogar im besagten Hotel Atlantik im Foyer sitzend am Kamin angetroffen und nun zwei – ja , fast schon kuschelige – Fotos mit ihm haben! Deshalb zeig ich dir die Fotos hier auch nicht. Und das ist natürlich nicht als Kritik gegen Udo gemeint. Was zuviel ist, ist einfach zuviel, gelle 😉
Das ist sehr, sehr rücksichtsvoll.
geschrieben wie ein echter hanseat! „also, das ist dann da so und das soll da auch sein, aber wir werden keine große sache draus machen…“
Atlantic? Ist das nicht das Hotel, wo gegenüber Buddenbohms wohnen?
Ach, Herr Buddenbohm, es ist manchmal auch sehr schön, keine Meinung zu haben, gell?
Hat der Grassi nicht auch mal im Atlantic gewohnt? Oder war das in der WG mit Otto und Lindenberg?
Wahrscheinlich kommt es Dir nur so vor, weil Du halt in St Georg wohnst. Mir geht’s wie Christian: Das Atlantic ist mir in erster Linie aus seinem Jugendbuch „Gepäckschein 666“ (oder aus „Die 50 vom Abendblatt“, das weiß ich nicht mehr so genau) ein Begriff. Dann, weil ich mit meinen Lieben im Rahmen des Hamburger „Tags der Architektur“ so vor ca. fünfzehn Jahren dort einmal eine besondere Führung bekam, bei der wir auch durch die Dachluke zur Weltkugel hinaufklettern durften und die Suite aus dem James Bond Film „Tomorrow Never Dies“ (1997) besichtigen, der dort gedreht wurde.
Dass Herr L. auch dort wohnt, das wurde zwar beiläufig erwähnt, aber da mich der Mann und seine Kunst so gar nicht interessieren, hatte ich das schon wieder vergessen. Ich hatte auch den Eindruck, dass das Hotel sich nicht so unbedingt mit ihm schmückt bzw. schmücken will; man nimmt ihn halt so hin als Dauergast, aber er ist nun auch nicht gerade auf dem kulturellen Level von Coco Chanel, die immerhin ihr halbes Leben im Pariser Ritz wohnte.
Udo (wie wir Stuckileser sagen) sagt Stuckimän.
Otti. Das heißt Otti.
Ganz groß, Rilke! 🙂
so toll geschrieben, vielen Dank!
Stimmt, du hast alles geschrieben, was ich sonst auch beigetragen hätte, liebe Brigitte?
Damals, im vorigen Jahrtausend, verbrachte ich ja einmal einen sehr verschneiten und sehr skurrilen Morgen im Atlantic. Hach, die Lachsschnittchen, und was habe ich seither bereut, nicht alle von ihnen gegessen oder wenigstens mitgenommen zu haben! (Lindenberg kam übrigens nicht drin vor, und ich hatte auch keinen Grund, nach ihm zu fragen.)
Etwas Off-Topic, aber mir fällt gerade ein, dass wir dort früher zum Sonntagsbrunch hingingen, als ich noch in St. Georg wohnte, und meine Jüngste noch ein Baby war. Es war wundervoll plüschig, und ein super Kontrast zum wilden Pulverteich, wo wir zwischen Toms BumsBar und dem Edelpuff wohnten. Ein Hotel wie eine Insel.
Das ist der Vor- und Nachtteil, wenn man in einer eher sehr kleinen, eher sehr unbedeutenden Stadt lebt. Da wohnt einfach niemand, den man kennen müsste. Natürlich könnte man sagen: “Der gute alte Marx, der ist hier geboren und aufgewachsen, bevor er schnell das Weite gesucht hat. Goethe war auch mal eine Nacht da, als er zu Napoleon gepilgert ist. Und dann natürlich die alten Römer samt Kaiser Konstantin. Aber das ist ja alles schon sehr lang her, denen stolpert man nicht mehr vor die Füße. Und die Andrea Doria kommt hier auch nicht vorbei. Nur Flusskreuzfahrtdampfer mit Amerikanern. Immerhin.
In dieser Stadt lebt immerhin eine Frau, in die ich mal verliebt war. Für mich ist das also immer die Stadt von I***.
Grooßartig! Ich habe so laut gelacht, daß Sie (oder sind wir beim Blogger-Du?) es vielleicht noch in Sankt Georg gehört haben. Beim Udo ums Eck. Als ich einmal eine Nacht im Atlantic wohnte, Udo in dieser Udo-Art neben mir an der Bar auftauchte und dem Barkeeper ein „Du, mach mir doch mal nen XY“ entgegen säuselte, hielt ich das erst für Versteckte Kamera. Ich konnte mir einfach nicht vorstellen, daß er ganz wirklich in echt so ist. Ist er aber offenbar. Sie müssen es wissen. Es gibt rauchfreie Zonen, wlan-freie Zonen, Ihnen wünsche ich eine udofreie.
Anke Müller-Vieregge … hat Ottifant denn auch mit in der WG gewohnt?
Früher, als wir noch am Lohmühlenpark wohnten,und auf den Bus warteten, begegneten wir ihm auch mal.
Er grunzte mich ganz erschrocken an als das Baby unter meiner Jacke juchzte. Das war wirklich nicht schön.
Das grunzen meine ich. So ein kleiner Mann und dann solch ein Ton!
Aber vielleicht hatte er auch gerade den Mund voll, mit einem der guten Bauarbeitersemmeln von Feinkost Läufer. Wer weiß das schon so genau. Man wird irgendwann auch so abgestumpft in dem Viertel. Morgens die Müller bei Balzac, die Wiener und der Lohmeyer auf der Höhe vom Gnosa, der Spengemann wohnte mit seinem Hund zwei Haustüren weiter, der Schlegl am Spieli, der Buddi im Budnikowski…
Ich denk beim Vorbeigehen an den Dings, na, den Dings, den Bond, also den James. Und überleg, wie die Parkhaus-Szene so gedreht werden konnte, dass das Auto an der Mönkebergstraße rauskommen kann …