Vor einem Café

Ich habe etwas gemacht, was ich selten mache, ich habe vor einem Café gesessen und gelesen, wie so ein Mensch mit Zeit. Es war warm, fast schon heiß, ich saß im Schatten und trank Kaffee, ich hatte eine Stunde Zeit.

Ich las in Max Frischs Berliner Journal, denn ich brauche im Moment etwas ausdrücklich Nichtromanhaftes, da ich mich bis gestern komplett durch Gerhard Henschel Romanzyklus gewühlt habe und nun einen kleinen Puffer vor dem nächsten Epos brauche, einen Zwischengang. Ein Tagebuch also, warum nicht. Es sind interessante Stellen darin, doch, doch.

Auch sehr feines Geläster über Thomas Mann findet man da, aber das nur am Rande. Mit Max Frisch bin ich bisher nie recht warm geworden, mit dem Journal werde ich mich wohl anfreunden können.

Ich sah hoch, als ich schnelle Schritte hörte, da lief eine junge und auffallend schöne Frau von links nach rechts durchs Bild, so schnell, das musste wirklich verdammt eilig sein. Eine Frau wie aus einem Musikvideo, es sah etwas unwirklich aus, gestellt, wie sie da in adretter Bürokleidung erstaunlich sportlich und mit wehenden Haaren lief, es sah ausgedacht aus, inszeniert, gecastet. Sie bog um die Ecke und verschwand. Sekunden darauf kam von rechts ein Elektrolastenrad, gesteuert von einem ebenfalls bemerkenswert gut aussehenden jungen Mann. Für meinen Geschmack fuhr der etwas zu schnell, er bog auch unangemessen rasant um die Ecke, Passant hätte man da lieber nicht sein wollen. Und wenn sich beide immer weiter um den Block bewegt haben, dann haben sie sich genau auf der anderen Seite dieses Blocks getroffen, gegenüber von meinem Platz. Das konnte ich natürlich nicht sehen, da waren mehrere Häuser im Weg. Das konnte ich nur raten, und das habe ich mir dann vorgestellt, wie die beiden da in ihrer Eile aufeinander zuflogen, wie sie für Sekundenbruchteile überlegten, wer da nun wie und wohin ausweichen sollte, sie keuchend, er angespannt und vorgebeugt über dem Lenker, beide fluchend. Wie sie dann sicherheitshalber beide doch kurz stehenblieben, sich vor dem Weiterhetzen kurz und unwillig ansahen und ZOOM, man kennt das. Traumpaar, Abspann. Und wenn sie später jemand fragt, wie sich kennengelernt haben: “Er wollte mich mitten auf dem Fußweg überfahren!” “Sie ist mir wie eine Furie vors Rad gesprungen!”

Oder die Variante finnischer Film, er fährt mit erheblichem Restalkohol, nagelt sie um und erkennt dann, zu spät, versteht sich, denn für sie gibt es natürlich keine Rettung mehr, dass diese Frau es gewesen wäre, dass sie alles gewesen wäre – Abspann, Tango.

Es ist ganz unterhaltsam, so vor einem Café zu sitzen und sich dabei etwas umzusehen, ich mache das immer noch zu selten.

Dann kam ein dicker Mann aus dem Café, der eine große Tasche mit dem Aufdruck “Unstoppable” trug und seinen Bauch ernst und energisch vor sich her schob. Was mich natürlich daran erinnerte, dass ich auch wieder weitergehen musste.

6 Kommentare

  1. Gerade heute habe ich über Ingeborg Bachmanns Amour Fou zu Max Frisch gelesen und dass sie durch sein regelmäßiges und tüchtiges Schreibmaschinengeklapper ganz wuschig wurde.

  2. Oh, wie ich die Szene lebhaft vor Augen hatte! Toller gegensätzlicher Auftritt dazu, der unstoppbare Bauch :-).Danke, hab´ das Lesen sehr genossen! (Und über den Frisch-Eintrag muss ich nachdenken, dessen Fazit ist mir nicht so fremd, wie ich dachte, dass es sein sollte…)

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