Krachendes Blau

“Aber am besten war es, wenn die Jungen zusammen ans Ruder durften, mit Tom Platt in Rufweite, und die We’re here ihre Leereling ins krachende Blau schmiegte und über dem Spill ungebrochen einen kleinen selbst gemachten Regenbogen hochhielt. Dann wimmerte die Klau jedes Baums gegen den Mast, und die Schoten knirschten, und die Segel füllten sich brüllend; und wenn sie in eine Mulde glitt, zappelte sie wie eine Frau, die sich in ihrem Seidenkleid verfangen hat, und kam wieder hoch, der Klüwer nass bis zur halben Höhe, und sehnte sich und spähte aus nach dem großen Doppelfeuer von Thatcher’s Island.”

“Über Bord” von Rudyard Kipling, Deutsch von Gisbert Haefs. Und was für ein Deutsch! Maritim bis zum Anschlag, absatzweise sogar so maritim, dass man als stinkige Landratte nur man gerade so halbwegs ahnt, was da gemeint ist. Und dass man da beim Lesen glatt die Hälfte seiner Ahnung verliert, das ist ganz seltsam erholsam, als würde man eine Woche auf einem Segelboot zubringen, mitten drin in dem krachenden Blau.

Ein äußerst verwöhnter Millionärssohn, halbwüchsig und schwer verzogen, geht auf einem Passagierschiff über Bord, als er sich seekrankheitsbedingt etwas außenbords hängt. Das passiert mitten im Atlantik (eingeschworene Element-of-Crime-Fans murmeln hier zwanghaft was von “Niemand ist gern allein mitten im Atlantik”, der Rest ignoriert diese Klammer bitte einfach), der Jüngling ertrinkt aber nicht, er wird von Fischern aus dem Meer gezogen. Fischer, die monatelang auf Kabeljau gehen und überhaupt nicht daran denken, den kuriosen Passagier vor Ablauf der Saison zurück an Land zu bringen, da könnte ja jeder kommen, bzw. vorbeischwimmen. Erst die Arbeit und dann.

Mangels anderer Wahl muss der Gerettete also an Bord mitarbeiten, wobei er sich erstaunlich prächtig entwickelt, was aber auch egal ist, wen interessiert schon die Handlung – viel wichtiger für die Lesenden ist doch, dass man da auf diese angenehm altmodische Schmöker-Art dabei ist, an Bord ist, im krachenden Blau ist.

In einigen Bundesländer sind schon Sommerferien, hört man. Vielleicht ist das Buch aber gerade für die eine Empfehlung, die noch keinen Urlaub haben, keine Ferien, keine Reisezeit, die also nichts als Alltag und Routine und immerwährenden Landgang haben. Mit diesem Buch kommt man nämlich doch kurz mal raus. Und sogar ziemlich weit.

“Über Nacht waren weitere Schoner angekommen, und die lange blaue Dünung war voll von Seglern und Dorys. Weit weg am Horizont besudelte der Rauch eines Liners mit unsichtbarem Rumpf das Blau, und im Osten war es viereckig eingekerbt von den eben auftauchenden Bramsegeln eines großen Schiffs. Disko Troop lehnte am Kajütendach und rauchte – ein Auge bei den Schiffen ringsum, das andere beim kleinen Windanzeiger am Haupttopp.”

12 Kommentare

  1. Jack Londons „Seewolf“ beginnt mit einem ganz ähnlichen Thema, wandelt sich aber in eine fabelhaft naturalistische Beschreibung des Lebens und der Liebe. Eines meiner liebsten Bücher.

  2. Die Leseproben zaubern mir schon Salzgeschmack auf die Lippen und lassen unter mir die Planken schwanken… hatte ich das letzte Mal bei „Moby Dick“, sechs Wochen gefühlt auf See – vielleicht wird es wieder Zeit für ´nen neuen Törn :-). Danke für den Tipp! Ich geh´ dann schon mal den Rettungsring aufpumpen ;-).

  3. Gisbert Haefs ist auch als Autor schwer zu empfehlen, das sag ich schon seit Jahrzehnten.

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