In meiner Kindheit haben wir ja noch begeistert alte Abenteuerfilme gesehen, Hollywood ganz damals, Errol Flynn in schwarzweiß und dergleichen. Und gerade bei den See-Abenteuern gab es da eine stets wiederkehrende Szene. Wenn Sie ein gewisses Alter haben, dann werden Sie sich gewiss auch daran erinnern, weil sie immer gleich ablief, die Sache mit dem aufkommenden Sturm. Zuerst wurde da in aller Gründlichkeit Ruhe bildlich dargestellt, ein an Deck schlafender Matrose, eine sacht schaukelnde Hängematte, ein dösender Kapitän, Langeweile im Ausguck, lustlos herabhängende Fahnen, so in der Art, das war stets so lang, das würde heute kein Mensch mehr so machen. Dann eine Art scharfer Weck-Moment, heftig auffrischender Wind, eine einzelne Schaumkrone, klappende Schotten, fallende Gläser, sich unvermittelt gewaltig bauschende Segel, so in der Art.
Danach dann ohne langen Übergang plötzlich hereinbrechender Sturm. Daran ganz wichtig herumlaufende Mannschaften, immer liefen da Menschen von links nach rechts und dann von rechts nach links und auch von hinten nach vorne und umgekehrt durchs Bild, Panik im Blick, auf irgendein dem Zuschauer unklar bleibendes Ziel los. Die mussten dann natürlich irgendwas tun, irgendwo hinaufklettern, hinunter, an etwas drehen, ziehen, drücken, riesige Räder bewegen, Winden, Segelstoffmassen, Tampen, Zeug eben, schwere Arbeit, entsetzliche Anstrengungen unter absurden Bedingungen. Verlässlich gab es dabei einige Verluste, irgendwer ging mit den wilden Wogen über Bord, je nach Film war das den anderen egal oder löste immer schlimmere Panik unter den Verbliebenen aus. Brecher stürzen dann mit immer größerer Gewalt durchs Bild, Segel reißen mittendurch, Taue sowieso, die Hand des Steuermanns klammert sich ans Holz, hervortretende Adern in Großaufnahme, dazu immer wieder gebrüllte Befehle, die im Orkan aber niemand verstehen kann, dennoch rennen alle immer weiter in allen Richtungen durchs Bild. Und wenn sie nicht gerade rennen, dann halten sie sich an etwas fest oder rufen etwas, so seemmännische Sachen und furchtbare Flüche eben, die muss man auch gar nicht alle verstehen.
Wolken jagen über den Himmel, Mondgeblinke, Windgeheule, ein wild kreiselnder Kompass, dann passiert irgendwas, das man als richtig schlimm einzustufen hat, der Hauptmast bricht oder so etwas, der Steuermann weht weg, ein schroffes Riff taucht auf, es sieht insgesamt überhaupt nicht gut aus, in der nächsten Szene dann aber – abrupter Schnitt! – liegt das Schiff irgendwo im Hafen, beschädigt aber erhalten, die Hauptfiguren besprechen auf Holz klopfend die Schäden an Deck und in der Takelage und wie es jetzt weitergeht, dazu blauer Himmel, Südseerequisiten, ein Papagei fliegt durchs Bild. Der Film ist noch lange nicht zu Ende.
Na, so in der Art. Genau so fühlt es sich hier jedenfalls jeden Morgen an, eine Mannschaft aus vier Personen durch die Wirren der ersten Tagesstunde zu bringen, vom ersten Weckerton durch das allgemeine Herumgerenne an Deck bis zu dem erlösenden Moment, in dem ich im Büro ankomme, mich da völlig fertig auf den Stuhl sinken lasse und noch einmal kurz überlege, ob wirklich alle Personen auf die richtigen Arbeits- und Schulplätze verteilt worden sind. Genauso ist das.
Nur ohne Papagei.
Es wird Zeit für einen Papageien zu sammeln, so ist das doch kein Zustand.
Kind 1 lief jeden Morgen gefühlte 4.000 Schritte. Sein Zimmer lag am Ende, die Küche am Anfang des Flurs. Zu jedem Kleidungsstück, beginnend am Schlafanzug ausziehen, bis hin zu Unterwäsche, Socken usw. anziehen, Mutters Mund war gegen 7.00 Uhr schon fusselig?
Herrlich! Danke! Ich habe sehr gelacht und mein Morgen wurde dadurch gleich noch besser!
Der Wahnsinn- ich erinnere mich! Oder diese Sonntage, an denen ich morgens um 8h dachte: Herr, lass diesen Tag vorüber gehen.!! Bitte jetzt!!
Und irgendwann sind sie weg und groß die Jungs und du kannst morgens im Bett bleiben, wenn es der Job erlaubt und wenn Herr Bofrost klingelt, einfach die Bettdecke über den Kopf ziehen. Herrlich.
Und Eltern dürfen auch nicht fluchen wie Seeleute…
Genau so.
twitter.com/buddenbohm/sta…
Genau so !
@Neeva:
Warum nicht? Wenn der Anlass passt, nehme ich auch vor den Kindern kein Blatt vor den Mund. Zum Glück sehe ich selten Grund dazu, da kann der Nachwuchs gleich eine ordentliche Portion hanseatische Gelassenheit angesichts der unvermeidbaren Wechselfälle des Lebens lernen.
Hier dürfen die Kinder bei passender Gelegenheit „Scheiße“ sagen, das ist kein Problem; es verlagert die Erziehungsaufgabe weg vom unrealistischen und unhaltbaren „Man darf nicht fluchen“ hin zum Lehren des Unterschieds zwischen „Nicht schlimm, sowas passiert halt manchmal“ und „Spuckdonnerwetter, das ist wirklich Scheiße, was da gerade passiert ist“. Und das dürfen Eltern durchaus sagen, finde ich, und Kinder eben auch, wenn es passt.
Fluchen entlastet und hat darin eine ähnliche Wirkung wie Weinen. Und man weint ja – in aller Regel – auch nicht wegen Kleinigkeiten.
(Redaktioneller Hinweis: Ich will sie nicht belehren, sondern hänge meinen Standpunkt an ihrem Kommentar auf.)
Was für eine vergnügliche Betrachtung – natürlich vor allem aus dem bequemen Schmökersessel heraus genossen… 🙂
So schön geschrieben…. Dank an @buddenbohm | Hisst die Ranzen! buddenbohm-und-soehne.de/2018/04/13/his…
@Carom: nee, nee, fluchen geht gar nicht, das fliegt einem spätestens am Abend um die Ohren und wer will das schon, nicht.
Und: Ich bin je-der-zeit bereit, für die Anschaffung eines Papageis zu spenden!
@Carom
Auch bei uns zuhause wird geflucht (manchmal anschließend erklärt was und warum) und selbst der Vierjährige hat den „verflixten Funkenflug“ aus einer beliebten Trickfilmserie übernommen.
Aber wenn ich bei der morgendlichen Routine zu deutlich Ungeduld oder gar Ärger zeige, blockiert der Kleine und es dauert im Ergebnis merklich länger.
Ich bin also die Kapitänin, die auf der Brücke steht und Ruhe vorspielt, damit die Passagiere nicht anfangen zu randalieren, während die Manschaft hoffentlich das Leck im Rumpf repariert. 🙂
Ich muss jetzt dringend „Der Scharlachrote Pirat“ sehen, mit Burt Lancaster in rotgestreiften Hosen, der dauernd von links nach rechts und oben nach unten durchs Bild schwingt, der olle Trapezkünstler.
(Und ich versuche, mir meine Grundschulzeit ins Gedächtnis zu rufen und ob es bei uns jemals hektisch zuging und kann mich nicht entsinnen. In meiner Familie sind wir alle geborene Frühaufsteher, das ist in diesem Fall unfassbar praktisch gewesen und sehr harmonisch. Ich war also durchaus stressfrei und pünktlich in der Schule, jedenfalls bis etwa zu Zeiten der 3. Klasse auf dem Schulweg ein Schreibwarenladen eröffnete. Ab da kam ich täglich mit einer anderen, hanebücheren Ausrede zu spät, weil ich dringend Radiergummis in Obelixform, Kugelschreiber mit Aquarium drin und Lustige Taschenbücher anschauen musste. Es liegt wohl auf den Genen.)
Tolles Bild! Das wird mir in Zukunft durch so manchen Morgen helfen! Und ich werde um so gelassener auf dem Fahrrad in den Morgen segeln…