Wenn ich in den Garten fahre, komme ich an einem Bordell vorbei. Endlich mal wieder ein interessanter Einstieg in den Text, nicht wahr, das wurde auch Zeit. Es ist wohl sogar Hamburgs größtes Bordell, wenn ich die Pressemeldungen zur Eröffnung recht erinnere. Aber keine Sorge, das wird hier keine private Beichtstory, ich assoziiere hier gleich nur ein wenig herum, weil das Bordell nämlich einen Namen hat, der Name lautet Babylon. Babylon wie Sündenbabel, haha, geiler Name, voll deep. Aber immer noch besser als das andere Bordell, an dem ich auf dem Weg zur Arbeit vorbeikomme, das heißt nämlich, kein Scherz, Geiz-Oase, und wenn das mal nicht der ultimativ schlimmste Name für so eine Einrichtung ist.
Babylon jedenfalls soll also nach Sünde klingen, das klappt bei mir aber nicht, denn immer, wenn ich da vorbeiradle, denke ich an zwei ganz andere Verbindungen, keineswegs an die Sünden des Fleisches, wenn ich das mal so katholisch ausdrücken darf. Wobei ich da ganz kenntnislos bin, also beim Katholischen, nicht beim Fleisch.
Ich denke nämlich erstens, Bildungshuber der ich bin: “Die Mitternacht zog näher schon, in stummer Ruh lag Babylon.” Das ist der Anfang von Heinrich Heines Belsazar, den ich ich irgendwann einmal komplett aufsagen konnte, es ist allerdings schon eine ganze Weile her. Ist Ihnen einmal aufgefallen, dass es in der ersten Zeile in rheinischer Betonung ”schonn” heißen müsste, damit es sich ganz korrekt reimt? Oder in der zweiten Zeile norddeutsch gedehnt Babyloon? Ja, der Heine. Auch so ein Filou. An dieser Stelle muss für die neuzugestiegenen Leserinnen noch einmal an den vielleicht besten Zweizeiler von Erich Mühsam erinnert werden: “Der ist ein großer Schweinehund, dem je der Sinn für Heine schwund.” Aber ich schweife ab.
Assoziativ jedenfalls ist der Belsazar natürlich völlig falsch, wenn man es einmal unter dem Bordellmarketinggesichtspunkt betrachtet, denn das Ende des Gedichts ist ja eher unerfreulich in Sachen Lohn der Sünde, Lust bekommt man da nicht. Mene mene tekel uparsin! Das möchte man ja nicht.
Belsazar ward aber in selbiger Nacht
Von seinen Knechten umgebracht.
Die andere Assoziation bezieht sich auf Boneys M., die Älteren erinnern sich. Bei dem Song “Rivers of Babylon” war ich zwölf Jahre alt und es war einer der ersten Songs, die ich mitsingen konnte, ohne ihn recht zu verstehen, denn die Top-Schlagertexthefte hatte ich da noch nicht für mich entdeckt, das dauerte noch etwa zwei Jahre. Also ein paar Zeilen verstand ich bei dem Lied schon, es lief auch sehr oft im Radio und in Musicboxen, da hatte man viel Gelegenheit, sich dem Text wieder und wieder anzunähern. By the rivers of Babylon, there we sat down, das ging doch ganz einfach los. Dann wurde es leider etwas unklar, und dann wurde es völlig unverständlich. Schließlich die Männerstimme, da verstand ich plötzlich wieder etwas – let the words of our mouth and the meditations of our heart … und dann kam “be a siptibble in … ja in was? Und was zum Teufel war denn eigentlich ein siptibble?
Das Wort “acceptable” kam in meinem Vokabular damals noch nicht vor, also sang ich eben stur vom siptibble, man konnte nämlich auch ohne brauchbares Bild von etwas singen. Und tanzbar war das auch, aber hallo.
Let the words of our mouth and the meditations of our heart
Be acceptable in thy sight here tonight.
Ich erlebe das jetzt wieder bei den Söhnen, dass sie ganze Songs mitsingen können, die sie gar nicht verstehen, manchmal sogar nicht einmal den Refrain. Und weil die Welt sich seit meiner Kindheit weitergedreht hat, ist es bei ihnen etwas anders als bei mir, sie singen nämlich auch spanischsprachige Songs mit. 1978 aber war der Latinpop noch nicht einmal erfunden – oder er hatte es zumindest noch nicht bis Lübeck geschafft, das kann natürlich auch sein.
So radele ich also auf dem Weg zum Garten an dem großen Bordell vorbei und denke an Heinrich Heine und an meine Kinder, das ist so sicher nicht beabsichtigt. Es ist vermutlich wirklich schwierig, so einen Laden anziehend zu benennen, wenn man mal drüber nachdenkt. Auf dem Weg ins Heimatdorf der Herzdame fahren wir an einem Bordell in irgendeinem Dorf in Niedersachsen vorbei, das heißt “Romantik-Treff”. Ist das nicht wahnsinnig traurig? Einen Ort ausgerechnet nach dem zu benennen, was da sicher nicht ist? Der Name könnte glatt in einem Element-of-Crime-Song vorkommen, so traurig ist der. Vielleicht gibt es auch einen Romantik-Treff in Delmenhorst, doch, das würde ganz gut passen.
Wenn ich in den Garten fahre, komme ich an einem Bordell vorbei. So könnte auch eine Kurzgeschichte beginnen. Aber heute nicht.
Kenne ich auch, beim Lesen des Wortes sofort an das Lied gedacht. Jetzt Ohrwurm.
Bis heute sehr eingängig, die Musik. Bleibt ne Weile.
Hier bei mir in der Nähe gibt es einen Club an der Hauptstrasse, der fast jedes Jahr seinen Namen wechselt. Dann ist eine zeitlang ein „zu vermieten“-Schild an der Tür und irgendwann „Grosse Neueröffnung“ und das alte Schild mit einem neuen Namen darauf. Aktuell ist aus dem alten „Rio-Club“ ein „Rio Brilant Club“ geworden. Brilant….ich fahre dort fast jeden Tag vorbei und frage mich, wieso niemand wusste, wie man Brilliant schreibt. So etwas geht nur in Zeiten, in denen es keine Drucker, keine Schildermaler, keine irgendwie beauftragten Fachleute mehr gibt, sondern Menschen einfach irgendwas auf Folien ausdrucken und auf die alte Leuchttafel kleben. Brisant hätte ich ja schön gefunden…
Hier um die Ecke gab es mal einen Markler, in genau der Schreibweise. Tat auch weh.
Diese Kurzgeschichte würde ich gerne lesen 😉
Oh ja… Boney M…
Und an die Schlagerheftchen erinnere ich mich auch! In Zeiten von Internet und Co. ganz schön nostalgisch! Ich habe sie geliebt!
Tja, und an den Namen der Bordelle sollte man vielleicht noch ein wenig feilen!
Viele Grüße von Margit
@ Sandra
Auch ich habe brillant jahrezehntelang falsch geschrieben. Und ich weiß, ich bin nicht alleine damit.
Danke für das Wort „Filou“. Viel zu lange nicht mehr gelesen oder gehört.
Lustig, ich hab das Wort gelesen und das Lied war in meinem Kopf. Jetzt bin ich beruhigt, dass ich da nicht die Einzige bin.
Bei uns im Nachbarort gab es eine Kneipe mit dem schönen Namen „Die kleine Oase“. Da man aber vom Verkauf von drei Rentnergedecken (ein Kölsch und ein Korn) nicht gut leben kann, zweigte der Kneipier seinen Festsaal ab für die „Swinger- Oase“ (hat nix mit der Musik zu tun). Nach zehn Jahren hat nun die „Swinger- Oase“ die „Kleine Oase“ verdrängt: was auch immer man daraus jetzt schließen möchte…
Vor einigen Jahren wollten wir im Rahmen eines Treffens erwachsener Pfadfinderinnen einer kalten Selbstversorgerhütte im Taunus entfliehen. Zu diesem Zweck recherchierte ich – vor Ort hatte man ein Exemplar der „Gelben Seiten“ deponiert – die Optionen eines Saunabesuchs in der Umgebung und wurde in wanderbarer Entfernung fündig. Ich rief dort an, um die Öffnungszeiten zu erfragen. Es folgte ein sehr nettes Gespräch mit einer freundlichen Dame, die mich schonend aber hartnäckig von der Leitung schob, auf der ich ausdauernd stand. Die Aussicht auf Wärme hatte mir in winterlicher Kälte eine völlig naive Vorstellung einer Sauna-Oase ins Hirn gepflanzt …