15 Minuten am Freitag

Um mich langsam wieder warm zu spielen, schreibe ich einfach morgens mal kurz los, nur so rund fünfzehn Minuten, mal sehen, ob es geht. Fünfzehn Minuten, ein Prozent des Tages, das klingt doch nicht überambitioniert. Ich fange einfach irgendwo wieder an, ganz egal, mitten rein.

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Vor dem Supermarkt steht einer, groß, breitschultrig, Sportkleidung, Format Türsteher. Neben ihm steht noch einer, ähnliches Format. Und ohne viel hineindeuten zu wollen, aus dem gleichen Land kommen sie nicht, das hört man auch, der eine kann kaum Deutsch, der andere hat es sicher als Muttersprache gelernt. “Ich bin in nichts besser als du”, sagt der dem anderen langsam und überdeutlich vor, der wohl diesen Satz braucht, warum auch immer. “Ich bin in nichts besser als du”, wiederholt der mit starkem Akzent, guckt fragend und freut sich dann, dass es alles richtig war. Schulterklopfen, er wiederholt das noch zweimal, schneller werdend, dann geht er mit dem neuen Satz, und wo und wie er ihn anwendet, dass werden wir nicht erfahren, aber hey, der Satz ist okay.

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An der Alster steht einer und guckt ratlos, der sieht aus wie ein älterer Herr aus dem Land’s-End-Prospekt, so ein gepflegter Freizeitamerikaner, bei dem das lilafarbene Polohemd und die Silberhaare in einer Weise gut sitzen, die man selbst nie erleben wird, denn man selbst altert ja nicht edel, man selbst verlottert nur schleichend. “Do you speak English?”, fragt er mich und guckt freundlich und hat dann gleich noch eine Frage: “Can you tell me where your lake is?” Eine Frage, als wäre ich in einem Sketch gelandet. Der Lake ist einen Meter neben ihm, groß wie immer, algengrün und attraktiv ins Stadtbild eingefügt, so wie es in den allen Reiseführern steht. Die Wahrscheinlichkeit ist sogar ziemlich hoch, dass der Herr aus Amerika gerade dort herumgejoggt ist, selbstverständlich ohne zu schwitzen, man schwitzt nicht in Land’s-End-Prospekten. Das macht man nun einmal an der Alster, man läuft um sie herum. Auch wenn sie, wie der empfindsame Hamburger im Normalfall sofort zwanghaft erklären muss, natürlich gar kein Lake oder See ist, sondern ein gestauter Fluss. “It is stowed!” hat ein ehemaliger Chef von mir das ausländischen Gästen immer ganz aufgeregt und mit zweifelhafter Vokabelwahl erklärt, das war ihm wichtig, wirklich wichtig, das musste auch unbedingt von jedem verstanden werden. Für einen dieser Gäste, einen Herrn aus Kanada, der besonders gerne in unserer Kantine Kohlrabi and Bratwurst aß („we don’t have kohlrabi in Canada, it’s so good“), hat er das auch mal ans Whiteboard gezeichnet, ein angedeuteter Flußlauf und unten ein großer Klunker dran, so ein Tafelbild, dass Pubertierende brüllend komisch gefunden hätten, it is stowed! Denn niemand darf die Alster einfach für einen See halten, vergleiche auch Elbphilharmonie – Opernhaus, das ist ähnlich, es zerreißt einen förmlich, jedenfalls wenn man Hamburger ist. Oder Hamburgerin, eh klar.

“Well”, sage ich, denn was soll man auch sagen, und gucke sinnend auf die Alster, wobei ich versuche, so spockmäßig eine Augenbraue zu heben, um etwas Zeit zu gewinnen. “Where’s your lake?” Was sagt man denn da? “Isch abe gar keinen See.” Es wäre zweifellos nett, einen See zu haben, aber wenn ich’s recht bedenke, soweit habe ich es einfach nicht gebracht, da muss man auch mal ehrlich mit sich sein. Ich bin über fünfzig, da muss man gewissen Wahrheiten allmählich ins Gesicht sehen. Kein See, kein Haus am See, nichts. Oder bezieht sich “your” auf mich als Hamburger? Hat der Mann vielleicht so eine Oliver-Sacks-Thematik und sieht nicht, was direkt neben ihm ist? Dann sagt er: “I mean the smaller one”, da wird alles klar, er sucht die Binnenalster und ist, wie sich dann herausstellt, schon eine Runde zu viel gelaufen, weil er nicht aufgepasst hat, wo es wieder zum smaller lake geht, der eigentlich auch gar kein lake ist, aber wo jedenfalls sein Hotel ist. Shit happens, wie wir in Hamburg sagen, eine ziemlich große Ehrenrunde war das, a lap of honor, ich habe das gerade für Sie nachgeschlagen, bitte sehr.

Der Amerikaner wendet dann jedenfalls, ich sehe Leslie Nielsen von hinten, eine weitere Pointe findet jedoch nicht statt, es ist fast schade. Aber wie gesagt, ich schreibe einfach irgendwo los, denn was den Fluss der Ideen betrifft – it is stowed.

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Egal. Musik!

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Und übrigens bin ich der Meinung, dass der Innenminister zurücktreten sollte.

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Sie können hier Geld in den nur virtuell vorhandenen Hut werfen, aber wie damals, als ich noch viel und oft geschrieben habe, die Älteren erinnern sich – Sie müssen gar nichts.

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7 Kommentare

  1. Der Türsteherdialog amüsiert, weckt Phantasie und erwärmt mein Herz. In Hamburg – St.Georg war es, auf dem Parkplatz des dortigen Krankenhauses, als ich, sehr vorsichtig rückwärts ausparkend (dort kurven Rollstuhlfahrer, auf den Rasenflächen sieht man Hasen, Kind und Kegel bewegt sich dort), als ich von einem “Türstehertyp“ aus seinem – passend – tiefergelegten laut röhrenden Fahrzeug heraus angerufen wurde “na, du Trulla, wirds noch?“ Ich musste darüber so sehr lachen und voila: bin so zu meinem Namen gekommen.

    Der Innenminister hat jeden Anstand verloren. Ihm scheint außer seinem aufgeblasenen Ego alles egal zu sein.

  2. Wie immer und seit immer… Ohne Ihre Texte würde etwas fehlen. Sehr sogar.

    Hoffentlich gute Besserung! Und das mit meiner gerade noch bayrischen Herkunft und dem leider immer noch Innenminister wird immer schlimmer.

    Liebe Grüße ins nun auch herbstliche Hamburg von Ina

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