Drei Stunden anders

Gestern habe ich noch Scherze über den Frühling gemacht, heute ist er dann unvermittelt tatsächlich da. Genau drei Stunden lang schlendert er durch die Stadt und sieht sich mal unverbindlich um, späterer Einzug nicht ausgeschlossen. Zehn Grad hat er dabei, das ist doch was, und ein Licht und eine Luft auf einmal, da gucken sich alle Menschen so um und machen die dicken Winterjacken auf und reißen sich die Schals vom Hals und die Mützen vom Kopf und strecken sich und merken, dass etwas anders ist. Und erinnern sich plötzlich vage an Nettigkeiten und bessere Zeiten und der Blumenstand an der Straße verkauft heute deutlich mehr als sonst, wirklich deutlich mehr, hast du die Tulpen gesehen, wie die leuchten.

Im Hauptbahnhof fragt eine große digitale Anzeigenwand, wie viele Autokinos es denn in Deutschland gibt, das ist wohl die Frage zum Frühling, wer weiß. Mindestens zehn Menschen sehe ich, die im Strom der 550.000 Menschen, welche täglich durch den Hauptbahnhof ziehen, genau vor dieser Anzeigentafel stehen bleiben und die Frage auch lesen, die Köpfe teilweise so schräg gelegt und dann ratlos hin und her bewegt , denn das weiß man natürlich nicht, wie viele Autokinos es in Deutschland gibt, woher sollte man das auch wissen, das ist eine typisch sinnlose Quizfrage. Normalerweise müsste die erlösende Antwort ein paar Sekunden später erscheinen, so geht das Spiel doch, aber das tut sie heute einfach mal nicht. Es erscheint erst die Uhrzeit und dann erscheint der Wetterbericht und dann eine Werbung und dann die Nachrichten mit dem Brexit, so lange kann ja keiner warten, also wirklich. Die zehn Leute sind längst weg und fahren S- und U-Bahn in Stadtteile mit Doppelhaushälften, Carports und allem und denken jetzt vermutlich den Rest des Tages über die Anzahl der Autokinos nach. Später nerven sie ihre Partnerinnen und Partner mit der Frage oder sie sind Single und murmeln die Frage in einer leeren Küche, googeln das dann endlich am Abend und wer weiß, vielleicht geht wenigstens einer von diesen zehn Leuten noch in diesem Sommer zum ersten Mal tatsächlich in ein Autokino, weil ihn oder sie der Gedanke einfach nicht mehr loslässt, das könnte doch sein, dass da jemand endlich einmal hingeht, so halb ironisch, versteht sich, weil Autokino doch irgendwie seltsam ist. Aber noch bevor der Film auch nur halb vorbei ist, wird in genau diesem Auto selbstverständlich schon heftigst und mit großer Ernsthaftigkeit geknutscht. Und dabei bleibt es auch nicht und wir waren dann also heute ganz am Anfang dieser Geschichte dabei, ist das nicht schön? Herzchenkonfetti regnet herab, Musik mit vielen Streichern, Abblende.

Es sind übrigens zwanzig Autokinos, falls Sie sich das jetzt auch fragen, und keines ist auch nur annähernd in meiner Nähe. Da kann ich ein ganz ruhiges Gewissen haben, in den knapp bemessenen drei Stunden des Hamburger Frühlings heute hätte ich ganz gewiss keines erreicht, was aber nichts macht, denn für Frühlingsgefühle brauche ich mittlerweile sowieso deutlich mehr als drei Stunden und ich kenne mich da zwar nicht aus, aber ich nehme stark an, dass in Autokinos sowieso nur im Sommer Vorführungen stattfinden.

Egal. Morgen wird es schon wieder kälter. Aber schön war es schon. Drei Stunden lang.

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Musik!


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Und übrigens bin ich der Meinung, dass der Innenminister zurücktreten sollte.

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3 Kommentare

  1. Kopfkino an, es läuft ein Gedicht von Friederike Kempner:

    Wenn der holde Frühling lenzt
    Und man sich mit Veilchen kränzt
    Wenn man sich mit festem Mut
    Schnittlauch in das Rührei tut
    kreisen durch des Menschen Säfte
    Neue ungeahnte Kräfte –
    Jegliche Verstopfung weicht,
    Alle Herzen werden leicht,
    Und das meine fragt sich still:
    „Ob mich dies Jahr einer will?“

    *

  2. Madness! Machen freudige Sternchenaugen – DANKEEE! – am linken Niederrhein, vertretbare 25 Kilometer entfernt vom nächsten noch aufführenden Autokino. Weckt Erinnerungen an ein anderes Autokino, zum Rumknutschen besucht vor 30 Jahren, huch! Letzteres ist allerdings schon lange geschlossen und dient(e?) für verrufenen Gebrauchtwagenmarkt. Das sind Schicksale.

  3. Das zitierte Gedicht wird (anonymen?) Kempner-Parodisten zugeschrieben. Aber schön und passend ist es in jedem Fall.

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