Grau, schön, leer

Nach der Ankunft löst sich der Nebel über der See zügig auf, gibt aber nur ein gewöhnliches Grau frei, keine Inselsonne, kein Strahlen. Das macht nichts, denn hier ist jedes Licht recht, das Meer ist bei jedem Wetter großartig und sowieso hält das Grau hier nicht so lange wie im Binnenland, wo es tagelang über der Stadt festhängen kann und sich nur zögerlich Richtung Mecklenburg verabschiedet. Hier aber wird es schnell wieder weggeweht, darauf kann man sich verlassen. Ich stehe am Südstrand und genau das hat mir gefehlt, dieser Blick.

Da nicht alle Leserinnen auf Instagram sind, baue ich unten noch ein paar Bilder ein, dann haben Sie vielleicht eine Vorstellung, warum ich hier öfter bin, das liegt nämlich nicht nur an meinem einwöchigen Wohnrecht pro Jahr, obwohl das natürlich schon schräg, sonderbar und wundervoll genug wäre.

Es gibt keinen Verkehr auf der Insel, abgesehen von ein paar Elektrowägelchen und dem großen Rettungswagen, der gemütlich unentwegt über die Insel gondelt, vielleicht fahren die da aus Langeweile den ganzen Tag mit dem Ding herum, ich weiß es nicht. Notfälle gabeln sie jedenfalls nicht auf, vielleicht üben sie langsames Fahren, das dann aber gründlich. Es gibt keinen Verkehr, keine Verbrenner, keine Raser, keinen Gestank, keinen Lärm und keine Irren, die mit Handy am Ohr über Rot fahren, die nicht blinken und wild hupen. Niemand fährt zu schnell, es gibt nicht einmal Radfahrer auf den Fußwegen. Es ist unfassbar, was es ausmacht, wenn man das nicht mehr um sich herum hat. Was wir uns mit dem Stadtverkehr antun, man merkt es erst auf solchen Inseln.

Vor dem Kochlöffel-Imbiss an der Treppe zum Oberland steht ein Mann mit Rollator, mir begegnen gerade dauernd sehr alte Menschen, ich weiß auch nicht. Der hält mir einen Zehner hin: “Hier, kannste mir mal nen halben Hahn da rausholen, machste das für mich?” Mit seinem Rollator kommt er die zwei Stufen zur Eingangstür nicht hoch. Natürlich mache ich das, und als ich die Tür öffne, rufen zwei Stammgäste schon Richtung Tresen: “Halben Hahn zum Mitnehmen!” Der kommt da also wohl öfter, der alte Mann.

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Am frühen Abend laufen einige Jogger an meinem Fenster vorbei über die Promenade, wenige nur. An der Alster laufen sie in Grüppchen oder Rudeln und reden die ganze Zeit dabei oder telefonieren, sie hören Musik oder machen kurze Pausen, nur um dann sofort wildeste Gymnastik zu treiben, angebrüllt von einem Personal Coach, hier dagegen wird noch simpel gelaufen. Da läuft gerade einer längs, der hat niemanden neben sich, niemanden vor sich oder hinter sich, der läuft einfach für sich, ernsthaft und konzentriert, er hat nicht einmal Kopfhörer auf, der hört nur die Brandung. Er läuft nach links und das Meer strömt nach rechts und weiter hinten geht die Sonne unter, da, eine Möwe, mehr passiert nicht. Fast könnte einem der Sport auf einmal sympathisch werden, so gut sieht das aus.

Man reist überhaupt viel zu wenig in der Nebensaison, es ist so dermaßen schön, dass nichts los ist. Geschäftig und eilig trippeln hier nur die Bachstelzen über die Promenade, die allerdings sind immens beschäftigt mit Picken und Gucken und Hüpfen und kurzen Flügen ein paar Meter weiter, immer sehen sie so aus, als hätten sie nur ganz wenig Zeit für alles, als wäre alles bei ihnen eilig, wahnsinnig eilig. Es ist so ein kleines Wirbeln, das man beim Spaziergang immer im Augenwinkel hat, denn es gibt viele Bachstelzen hier. Wippsteert im Plattdeutschen, ein schönes Wort. Als Kind wurde ich auch oft so genannt, weil ich einfach nicht still sitzen konnte. “Das gibt sich irgendwann”, sagten die Erwachsenen immer hoffnungsvoll, nachdem sie genug mit den Augen gerollt und mich endlos oft angepfiffen hatten, und jetzt bin ich 53 Jahre alt und möchte allmählich halbwegs sicher und nach ausreichender Bedenkzeit antworten: “Ich glaube nicht.”

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Helgoland Südstrand

Helgoland Hafen

Helgoland Hafen

Helgoland Unterland

Helgoland Oberland

Helgoland Oberland

Helgoland, Basstölpel

Helgoland, Lange Anna

Helgoland, Promenade

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Und übrigens bin ich der Meinung, dass der Innenminister zurücktreten sollte.

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8 Kommentare

  1. Es gibt Tölpel auf Helgoland?! Ich bin ehrlich überrascht! Danke für die Bilder, nicht nur die fotografierten …

  2. *Wippsteert* – der plattdeutscher Zappelphillip – das ist mir so nachgegangen gedanklich. Was ein Bild! Mundart wie ich sie liebe!

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