Ich habe mein Vorbild für die Weihnachtszeit 2019 gefunden. Gestern am späten Nachmittag war es. Es war ein feuchtkalter Nebeltag, ich stand am Küchenfenster und sah auf den Spielplatz hinunter, auf dem kein einziges Kind spielte, das Wetter war so überhaupt nicht einladend. Da trat ein Mann auf, der durch einige mitgeführte Ausrüstungsgegenstände als jemand zu erkennen war, der für Müllbeseitigung und Ordnung zuständig ist. Große Müllsäcke, ein Greifer, eine Harke, so etwas. Außerdem trug er robuste Arbeitskleidung, die Sache war ziemlich klar. Es hat nun nicht viel Sinn, im November auf einem Spielplatz Müll aufsammeln zu wollen, da ist ja kaum jemand, der Müll macht, aber vielleicht war es der benachbarte Kirchhof, der in seine Zuständigkeit fiel, was weiß ich. Es ist auch egal.
Denn der Mann kümmerte sich sowieso nicht um Unrat. Er sah sich um, stellte sein Zeug ab, ging zur Schaukel und sah sie einen Moment an. Dann setzte er sich darauf, wie es jemand tut, der schon lange nicht mehr geschaukelt hat. Es war ein großer und schwerer Mann, er setzte sich ganz vorsichtig. Und nahm dann etwas Schwung und schaukelte. Das wäre bis dahin nicht weiter erstaunlich, man wird ja mal schaukeln dürfen. Aber wissen Sie was, er schaukelte, bis es dunkel wurde, er schaukelte über eine Stunde lang. Mit nur wenig Schwung, ernsthaft und versonnen, mit beiden Händen an den Ketten, wie es sich gehört und ganz für sich. Dann wurde es dunkel und ich konnte ihn nicht mehr sehen. Er hat seinen eigentlichen Auftrag sicher nicht erfüllt, aber ich nehme seinen Auftritt jetzt gerne als Hinweis – im Dezember einfach mal irgendwo nicht mitmachen und zur Ruhe kommen. Mit wenig Schwung, ernsthaft und versonnen. Ich glaube, das passt so.
(Der Text erschien zuerst als Kolumne in den Lübecker Nachrichten)
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Und außerdem bin ich der Meinung, dass der Innenminister zurücktreten sollte.
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Es ist nie zu spät für eine glückliche Kindheit
Gut beobchtet, schöne Geschichte!
Einfach mal im Dezember schaukeln. Das merk ich mir.
Und jetzt wundere ich mich, dass man sich darüber wundern kann.
In der Nähe meines Büros ist ein Spielplatz und mittags ist in der Kita Mittagsschlaf, da kann man zwischen zwei Schaukeln auswählen. Außer die Jungs aus der IT sind schneller.
„Im Dezember einfach mal irgendwo nicht mitmachen“ – Yessss!
Es gibt einen wunderbaren Kurzfilm aus den 80ern von Joachim Bode, „Burning Swing“, über nichts weiter als einen großen Mann, der schaukeln will. Ist leider komplett verschollen, nirgends zu kriegen, wech.
Gefällt mir sehr! Danke.
Vielleicht könnte diese Welt eine bessere sein, wenn insgesamt mehr geschaukelt würde.
Nur so ein Gedanke.
Ich sitze vor dem Laptop, schiebe seit einer guten Stunde den Einkauf vor mir her, da lese ich diese kleine Geschichte und freue mich wie ein kleines Kind.
So schön.
Und da der Dezember bald vorüber ist, nehme ich den Ratschlag mit in den Januar. Einfach mal nix tun und (oder) schaukeln.
Merci & liebe Grüße, Bine
Das passt so gut heute in den anderen Adventskalender!
DANKE! Ich erzähle diese Geschichte im Gottesdienst am 1. Weihnachtstag. Es geht ums Gegenwärtig-Sein. Und Ihre Worte veranschaulichen das sehr alltagstauglich. Schöne Geschichte. Frohes Christfest!
@Alexandra: Danke, das freut mich sehr.