Die Gottseibeiuns-App

Wenn man, was fraglos angebracht ist, mehr Frauen lesen oder hören möchte, dann hat man, wenn ich das richtig sehe, bei den Hörbüchern auf Spotify z.B. schlechte Chancen, also jedenfalls, wenn man sich eher für etwas ältere Literatur interessiert, da sind Frauen dann kaum zu finden, von der Droste mal abgesehen. Wenn ich mir ansehe, was ich mir da gespeichert habe: Jane Austen ist mit mehreren Romanen dabei, Anna Seghers, Djuna Barnes, Bettina von Arnims Briefwechsel mit dem Gatten, Marie von Ebner-Eschenbach, Irmgard Keun. Aus.

Ich muss das noch einmal alles durchsuchen.

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Auf meinem Arbeitsweg kam ich bis vor einiger Zeit an einer Glaserei vorbei. Das hatte für mich herkunftsbedingt zwar einen gewissen nostalgischen Wert, war aber sonst nicht weiter interessant, also habe ich da auch nicht weiter hingesehen, weswegen es sein kann, dass es die schon länger nicht mehr gibt. Wie wenig man aufpasst! Dort ist neuerdings ein Laden für seltsame Sitzmöbel, die man wohl mit Fachbegriff Barbierstuhl bezeichnet, Friseurstühle also, eventuell tatsächlich nur in der Ausprägung für Herrenfriseure, Barbershops, ich müsste einmal stehen bleiben und genauer hinsehen. Wenn man Barbierstuhl einmal in die Google-Bildersuche eingibt, dann sieht man da ziemlich abgefahrene Ergebnisse. Es scheint eine ausgeprägte Verbindung zum Retro-Charme und zur Nostalgieberauschung zu geben, womit auch immer das genau zusammenhängt. Der gepflegte Bart zieht den Mann ins Viktorianische oder aber in den Wilden Westen, das wäre auch noch zu ergründen, warum das wohl so ist. Vielleicht waren es die Goldenen Zeiten für ein gewisses Männlichkeitsbild, was weiß ich. Ich wollt’ ich wär Clark Gable, mit Schnurrbart und mit Säbel, wie man vor ein paar Jahrzehnten sang, Moment, ich sehe nach, 1936 war es: “Er lebt, wenn’s hoch kommt, 100 Jahr‘ und bringt’s bei gutem Start, und nur, wenn er sehr fleißig war, zu einem Rauschebart.” Peter Kreuder hat es geschrieben und jetzt, wo ich das gerade nachlese, macht mit erheblicher Verspätung gerade etwas Klick in meinem Hirn. Denn in der Wikipedia steht auch, dass die Melodie zu seinem Schlager “Musik! Musik! Musik!” mit der bekannten Zeile “Ich brauche keinen Millionen …” den späteren Titelsong der Muppetshow ergeben hat, das ist mir unfassbarer Weise nie aufgefallen. Wie wenig man aufpasst!

Was aber wollte ich eigentlich sagen? Als ich da also vorbeiging, an dieser Möbelausstellung für Barbiere, Friseure, wie auch immer, da, genau auf den paar Metern, kam im endlosen Moby-Dick-Hörbuch gerade die Erwähnung einer äußerst marginalen Figur, die vom Namen her sensationell gut zu dem passte, was ich gerade sah, es ging nämlich kurz um Dr. Schniegelscheitel, ein fachkundiger Sprachexperte für Holländisch und Hochdeutsch. Und jetzt sehe ich dauernd einen Laden in Steampunk-Optik vor mir, mit einem prächtigen Ladenschild, auf dem “Dr. Schniegelscheitel” in altmodischen Lettern Bart und Frisurpflege anbietet, und diese Idee ist eigentlich so schön, das müsste jetzt bitte mal jemand übernehmen.

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Inhaltlich so originell, dass es wirklich heraussticht – ein positiver Artikel über Tiktok. Ich habe Tiktok weder je benutzt noch mehr als ein paar Minuten gesehen, ich habe also gar keine handgeklöppelte Meinung zu Tiktok, aber ich weiß doch immerhin, dass es alle ganz furchtbar finden und dass es bei Kindern und Jugendlichen aus Eltern- und Lehrerinnensicht gerade die allerschlimmste Gottseibeiuns-App ist, und wenn ich Kind wäre, ich würde sie schon deswegen installieren. Logisch. Denn, falls Sie das auch vergessen haben, wie so viele: So funktioniert das.

Wenn ich mich damit aber als Erwachsener, schon gar als Vater, etwas ernsthafter und länger befassen würde, ich würde es vermutlich pflichtgemäß ganz schrecklich finden. Versteht sich.

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Christa Pfafferott über die Gedenkstätte am Bullenhuser Damm. In die ich mich übrigens, und das meine ich völlig ernst, nicht hineintraue, weil mich schon das Nachlesen der Geschichte jedes Mal fertig macht. Die nicht verurteilten Täter, die Schicksale der Kinder, all das, es ist das Grauen schlechthin.

Unser Garten ist gar nicht weit von da.

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Die Frau von Hopper.

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Und übrigens bin ich der Meinung, dass der Innenminister zurücktreten sollte.

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6 Kommentare

  1. In der Neusser Innenstadt haben in den letzten zwei Jahren in Fußläufigkeit sechs Barbiere aufgemacht. Diese Nachfrage will bedient werden.

  2. Was für ein Arschloch, der Hopper, ab sofort werde ich seine hübschen, etwas naiven, reglosen und „toten“ Bilder mit anderen Augen sehen.

  3. @ Elke: vielen, vielen Dank für den Link. Ein großartiger Text.

    @ Maximilian Buddenbohm: ich verstehe Sie, aber…irgendwann, vielleicht wenn auch die Söhne so weit sind. Wir haben das gemacht, ohnehin das Thema Nazizeit im Gespräch nie ausgespart, je nach altersbedingter Zumutbarkeit und passender Literatur.

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