Das Liveblog zur Wirklichkeit

Wie bei Liveblogs üblich, steht in diesem Text das Neueste oben. Sollten Sie also später dazukommen und alles nachlesen wollen, müssten Sie bitte unten anfangen. Wie im richtigen Leben. 

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18:50 Bebilderung: Vor dem Fenster wird es dunkel, der Blick vom Balkon geht über den Spielplatz, an dessen Rand zwei farbige Kleckse leuchten. Das eine ist eine Zierkirsche, das andere eine Mirabelle, einmal Rosa, einmal Weiß. Für einen kurzen Moment sehen die blühenden Bäume im Restlicht aus, als würden sie aufleuchten. Durch die Sandkiste schreitet ein Vater und sucht wohl etwas, er macht staksende Schritte wie ein Storch auf dem Acker und wir wollen, damit das hier zu einem besinnlichen Ende kommt, uns vorstellen, dass er gleich findet, was er sucht und was ein Kind sicher schon schmerzlich vermisst hat, wir wollen uns vorstellen, dass es wichtig war und dass das Kind zuhause gleich sehr begeistert aussehen wird und dann wird alles doch noch gut. Denn so etwas findet ja auch statt, alle paar Minuten findet das statt.

Und damit gute Nacht. Wie schreiben die Kolleginnen drüben bei den News-Seiten immer, wir beenden das Live-Blog für heute. Morgen früh übernimmt …  Na, und so weiter.

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18:19 Musik! Wilhelmine, gefunden via Knuspermagier. Der Spaß am Lied kommt rüber, und wie.


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18:06 Ich habe zwischendurch ein Kapitel Moby Dick gehört. Kapitän Ahab legt sich gerade mit dem Elmsfeuer an, eine der bekanntesten Szenen also. Er ruft den Feuergeist an, der da mitten im Taifun unheilvoll auf den Masten leuchtet, und er ruft einen Gruß, den man sich merken müsste, als literarische Variante von  “Come as you are”, als wesentlich interessantere und tiefere Variante allerdings: “Komm in deiner niedrigsten Gestalt!”

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17:58 Hier kann man lesen, natürlich im Blogstyle, News gucke ich ja nicht an, wie es einem ergeht, wenn man jetzt krank wird.

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17:50

Ich habe neulich diesen Scherz auf Twitter gepostet, der erklärt sich übrigens durch Gewichtsabnahme. Ich bin schlanker als im letzten Jahr, deswegen schlackert hier und da etwas, z.B. der Ring. Da das Thema Abnehmen viele interessant finden, eine kurze Erläuterung dazu, wie habe ich das gemacht? Mit der altbewährten KUSS-Methode, also durch Kummer, Sorgen und Stress. That was easy! Und so gut habe ich das gemacht, ich könnte andere glatt bei dieser Methode begleiten, quasi als Kummer-Coach. Wenn es ihnen zu gut geht. rufen Sie mich an! Wir besprechen ihr Leben und ich sage Ihnen, worüber Sie sich Sorgen machen sollten. Viel Kummer unter dieser Nummer, ich arbeite im Moment noch am Marketing-Konzept, aber da geht was.

Schwierig wird es nur, diesen Weg im Frühling weiter zu verfolgen, es kommt ja doch bei passendem Wetter gebietsweise zu guter Laune und Aufheiterungen, ich habe da schon so eine Vorahnung.

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17:01 Ich stelle mit Amüsement fest, dass der Gedanke, wegen Corona nicht mehr reisen zu dürfen, in mir fast so etwas wie Reiselust auslöst. Die ich natürlich im Zweifelsfall beherrschen könnte, keine Frage. Ich denke aber so gut wie nie ans Reisen, es sei denn, ich darf das nicht – es ist vielleicht doch die Reaktanz, die uns über Wasser hält.

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16:56 Sohn I macht schon seit einer ganzen Weile Sport in der Parkour-Halle, die bei uns fast um die Ecke liegt und ein Ort mit einer sehr angenehmen Stimmung ist, ich mag das da auch als Zuschauer. Es sind auch schon Blogartikel dort entstanden, weil der Raum für Wartende dafür bestens geeignet ist. Neuerdings macht der Sohn da auch Breakdance, und der Kurs könnte noch einige Anmeldungen vertragen. Für Kinder ab 12, der Kurs ist, wie sagt Sohn I, “very nice”.

Apropos Sohn I, der sorgt jetzt dafür, dass sich Menschen auf der Straße nach uns umdrehen, denn es scheint gar nicht so viele Kinder mit lilafarbenen Haaren in seinem Alter zu geben. Wie sang damals mein Nachbar, der Herr Lindenberg: “’N bisschen punky, gottseidanki.”

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16:33 Das Wort zum Mittwoch heute hier, es geht um Hiob. Zwar ohne Moral am Ende, dennoch interessant.

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16:01 Wenn es hier übrigens zu italienischen Zuständen kommen sollte, wenn ich mich etwa ein paar Tage als Schmuck-Eremit in die Laube im Schrebergarten auf der Insel flüchten müsste – ich könnte tagelang so weiter schreiben. Aber Problem – da ist kein WLAN, das wächst da nicht.

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15:52 Sven fährt wieder Fahrrad durch Hamburg

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15:49 Im letzten Sommer, so lange geht das hier nämlich eigentlich nach, habe ich vor der Abreise nach Südtirol nicht gewusst, was ich lesen sollte, also ich wusste auf einmal nicht mehr, was mir gefällt. Und dann habe ich mir gedacht, du hast fast dein ganzes Leben lang gelesen, du kannst ja auch mal nichts lesen. Da habe ich also mal, wie wir im Büro sagen, out of the box gedacht. Dann bin ich tatsächlich ohne Bücher in Urlaub gefahren, also ganz ohne, und ich habe, das erinnere ich sehr genau, z.B. so etwas gemacht: Am Fenster stehend beobachten, wie draußen ein Regenschauer durch einen Weinberg zog. Wie es dabei erst dunkel wurde und dann allmählich wieder heller, wie der Regen erst mehr und lauter wurde und dann wieder weniger und leiser, wie nur noch einige silbern blinkende Tropfen zu sehen waren und die dann aber lange, lange, wie es schließlich ganz aufhörte, wie die Sonne wieder durchkam und das Laub in der aufflammenden Hitze trocknete und ich dachte die ganze Zeit, das ist alles sehr schön, super Landschaft auch, erstklassige Berge, mustergültiger Sommer, aber gleich zerreißt es mich.

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15:35 Im Coffeeshop läuft natürlich diese loungige Musik, die in solchen Läden immer läuft, gerade singt eine Frau immer wieder eine Zeile: “I think you should know”, und die Frau, die einen Tisch weiter sitzt, sieht dabei sinnend aus dem Fenster und es sieht so aus, als habe sie Tränen in den Augen. Bild und Ton passen so dermaßen gut, es ist mir ein Fest.

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15:15 Heute, früher am Tag: Auf der Toilette im Büro steht ein Kollege neben mir am Waschbecken und sagt, als ich mir die Hände wasche: “Aber schön 20 Sekunden!” Und das ist ja auch erfreulich, dass man sich noch einmal ganz wie als Kind fühlen darf, in Alltagsdingen sorgsam belehrt.

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15:01 News-Junkie bin ich übrigens schon, seit ich als Kind die erste Zeitung gelesen habe, was übrigens die gewesen sein dürfte, für die ich heute Kolumnen schreibe, ich winke freundlich nach Lübeck. Es ist nämlich gar keine Frage des Mediums, es ist eine Frage der Psyche. Ich halte es nicht gut aus, nichts lesen zu können, wahrnehmen zu können, wenigstens beobachten zu können. Und egal, worum es dabei geht, am besten ist es kurz, dann kann ich schnell weiter, etwas anderes könnte ja noch interessanter sein. Weswegen, das wird vielleicht jetzt noch deutlicher, auch so ein Hörbuch wie Moby Dick für mich eine irre Mühsal ist und ich dabei gewissermaßen meine Komfortzone verlasse, ohne auch nur einen Schritt zu gehen. Das Internet ist, das wollte ich noch eben erwähnt haben, also nicht als schuldig anzusehen. Ich habe früher, Achtung, Opa erzählt vom Krieg, gewisse Tasten auf der Fernbedienung des Fernsehers geradezu durchgerubbelt, weil ich die Bildschirmtextseite mit den letzten Meldungen so oft aktualisiert habe. Es liegt nicht am Medium, nein.

Bebilderung: Ich schreibe dies in einem Coffeeshop, der junge Mann neben mir spricht eine arabisch klingende Sprache und erwähnt oft den Begriff Corona, den er aber in etwa so ausspricht, wie die Spanier Cojones aussprechen.

14:45 In der Cafeteria der Bücherei beugt sich eine Frau vom Nebentisch aus zu mir und fragt: “Kennen wir uns nicht? Wir kennen uns doch!” Ich verneine das wahrheitsgemäß und sie guckt dann aber weiter mit einem Gesichtsausdruck zu mir, als könne das nicht stimmen, als müsse das so etwas wie eine zweckmäßige Lüge sein, aber warum genau lügt der Typ jetzt – und ihr Blick wird immer skeptischer, nachdenklicher und misstrauischer, ich sehe ihr an, dass sie ganz sicher ist, doch, wir kennen uns und sie kommt nur nicht darauf, woher wir uns kennen und es ärgert sie immer mehr, und da habe ich also einer Frau glatt die halbe Stunde mit Kaffee und Kuchen versaut, einfach nur durch meine Anwesenheit. Es ist doch immer ein Risiko, auch nur vor die Tür zu gehen, dazu muss man nicht einmal an Corona denken.

14:15 Ich habe mir auf Anregung von Frau Novemberregen eine Klapptastatur gekauft, sehr handlich und einladend transportabel, die kann ich über Bluetooth mit dem Handy verbinden und dann … dann weiß ich auch nicht. Dann kann ich überall Romane schreiben, ohne dafür ein Notebook mitschleppen zu müssen. Oder Blogartikel, das  vielleicht eher. Also etwa während einer langen Zugfahrt. Das Problem ist nur, ich habe gar keine lange Zugfahrt vor und das Reisen ist momentan eh nicht zu empfehlen,wie man hört, ich werde mir also etwas anderes suchen müssen. Wenn ich etwas finde, blogge ich dann live, rasender Reporter nichts dagegen.

Apropos! Ich reagiere zusehends gereizt auf die ganzen Liveblogs zu Corona gerade. Zum einen, weil sie für mich als Newsjunkie ein erhebliches Suchtpotential haben, zum anderen aber auch, weil ich mir denke, dass der Begriff Liveblog zu Blogs gehören müsste, nicht zu Medienseiten, das wäre doch viel schöner. Zum Begriff “Liveblog” fallen einem nur Desaster und Hysterie ein, das ist überaus bedauerlich. Und wenn ich so drüber nachdenke, ich bin auch jetzt gerade in Versuchung, mich schon wieder vor News-Seiten zu setzen und F5 zu drücken, ich finde das aber gar nicht in Ordnung. Es wäre viel besser, ich würde etwas schreiben. Also für mich wäre das besser, weiter reicht das Denken da noch nicht. Ich müsste etwas schreiben, um mich von News abzuhalten und mich meiner Wirklichkeit zuzuwenden. News reichen auch zur Tagesschau und sind ansonsten Zeitverschwendung, sie halten mich von anderer Lektüre und anderem Erleben ab und überhaupt von allem. Und das möchte man als Autor ja eigentlich dauernd, irgendwas erleben und darauf dann genüsslich etwas herumdenken. Das Erleben kann dabei auch rein geistiger Natur sein, versteht sich, das Aufkommen einer Erinnerung, so etwas in der Art, wozu man den Gedanken aber auch erst Raum lassen muss. Immer will man eigentlich selber denken und kommt dann nicht dazu, weil man sich dauernd damit beschäftigt, das Denken der anderen zur Kenntnis zu nehmen.

Weswegen ich jetzt einfach aus therapeutischen Gründen und zur Suchtbekämpfung heute ein Live-Blog mache und meine sinnfreie Aktualitätsgeilheit mit dem Schreiben verheirate. Gar nicht erst auf eine Gelegenheit warten! Denn das mit dem Warten, das ist auch nur so ein Trick zur Sebstüberlistung. Mal sehen, was dabei herauskommt, ich weiß es doch auch nicht

Also hier heute ein Live-Blog zur Wirklichkeit. Es geht gleich weiter, ich muss nur kurz nachdenken. Aber oben dann, wie das so üblich ist.

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Und übrigens bin ich der Meinung, dass der Innenminister zurücktreten sollte.

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4 Kommentare

  1. 14.45

    Hach, Herr Buddenbohm, ich war es nicht, diese Frau. Ich bin nämlich gar nicht da. In Hamburg. Aber ich kenne Sie, würde Sie sicher erkennen – Sie mich aber wiederum nicht. Ich wüsste auch nicht, ob ich wagen würde, Sie anzusprechen. Obwohl ich immer mal wieder in Ihrer Gegend zu tun habe. Meinen Basmati Reis kaufen, Koppel 66 aufsuchen, usw.
    Wir Hamburger lassen unsere Prominenten eben in Ruhe.

  2. Danke für den „Wilhelmine-Grinser“! Und, ja, Die hörbare Freude macht Freude, auch wenn sie auf Seiten der Interpretierenden den Vornamen „Schaden“ zu tragen scheint.

    Und: Die KUSS-Sache kenne ich aus eigenem Erleben, ich fühle mit.

    Bester Gruß
    Alexandra

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