Zur Unzeit am Unort

Ich habe den Verdacht, dass mich die Unstimmigkeit der Bilder da draußen mehr stresst, als ich zunächst angenommen habe. Also nicht schlimm stresst, nicht kreislaufgefährdend, aber doch auf eine nagende und immer leicht unangenehme Art. Bei jedem Blick auf eine Straße oder einen Spielplatz, in einen Park oder in den Hauptbahnhof nervt es mich mehr oder weniger bewusst, dass es dort nicht so aussieht, wie es gehört. Dass die Szenerie also nicht zur Tageszeit passt, auch nicht zum Wochentag und in den letzten Tagen nicht einmal zum Monat oder zur Jahreszeit. Irgendein automatisierter Mechanismus in mir möchte permanent Bilder abgleichen – die Innenstadt so leer, das muss ein Sonntagmorgen sein, etwa 06:30.

Und es ist so saukalt, es muss etwa Mitte Februar sein. Es ist dann aber in Wahrheit ein Montag im späten März, es ist 16:15 und nichts passt mehr, mir sind die Grundeinstellungen allesamt verrutscht.

Das ist ja ein bekanntes Gefühl, dass man einmal denkt, es sei Mittwoch und dann nach einem halben Tag erst merkt, es ist erst Dienstag, und wenn man es dann merkt, dann sortiert man sich lachend innerlich kurz durch und wundert sich und macht weiter, also früher hat man dann jedenfalls einfach weitergemacht. Und heute auch, heute macht man auch weiter, aber nichts wird dabei durchsortiert und man wundert sich immer weiter und es hört nicht auf.

Ich bin ein bildlich denkender Mensch, ich möchte, dass alles in etwa so aussieht, wie es schon einmal ausgesehen hat und wie es aussehen müsste. Ich glaube, mein Hirn prüft das tatsächlich die ganze Zeit, aber die Bild- und die Tonspur sind so hoffnungslos versetzt und falsch zusammengeschnitten und fehldatiert, der Prozess kann einfach kein Ende mehr finden und es wird alles erst gut und befriedet in mir sein, wenn es mir wirklich vollkommen egal ist, welcher Monat ist, welcher Wochentag und welche Uhrzeit ist. So weit bin ich noch nicht.

Das dauert aber nicht mehr lange, nehme ich an. Und dann, genau dann, das ahne ich jetzt schon, wird alles auf einmal wieder auf normal geschaltet, das alte Leben nimmt wieder Betrieb auf und man erinnert sich dunkel, wo man einmal gearbeitet hat. Man geht dann wie früher morgens ins Büro, blickt auf den Wandkalender, der da immer noch hängt, rechnet lange nach und denkt: “Ach guck, ein Sonntag.”

Und dann geht man eben wieder nach Hause.

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Und übrigens bin ich der Meinung, dass der Innenminister zurücktreten sollte.

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4 Kommentare

  1. Es ist jetzt die Zeit viele neue Bilder zu speichern, die dann – hoffentlich nicht zu bald – in der Zukunft mit ähnlichen Bildern abgeglichen werden: „Das sieht ja aus, wie damals bei Corona.“

  2. Zwei Wochen später ist es so… der Wochentag hat seine Bedeutung verloren. Kein Die-Woche-Durch-Hangeln mehr von Termin zu Termin. Montag, oh Mann, zu spät dran, Autobahn zu voll, Schreibtisch, Telefon, die Zeit rennt, wieder zu spät zum Ach-Schön-Ihr-Habt-Schon-Angefangen-Lasst-Euch-Nicht-Stören-Yoga, noch eben einkaufen auf dem Rückweg, kochen, Kinder, (nein, nicht Kinder kochen, obwohl .., warum kochen nicht mal die Kinder oder sollte ich die Kinder..? Lassen wir das! Wir haben noch ein paar Wochen zusammen auszuhalten ohne Erholumgsunterbrechungen durch Schule, bei Freunden sein etc…) ok, ihr wisst, wie es weiterging. Tag für Tag, Woche für Woche…. und nun?
    Aufstehen, vor den Laptop mit dem ersten Kaffee, das Haus schläft noch, schlurfen im Haus.. dies bedeutet nur, das der Schlaf des Post-Pubertier durch einen dringenden Harndrang unterbrochen wurde oder der Göttergatte, ebenfalls Officer im Home, erstaunt festgestellt hat, dass er eigentlich ja auch arbeiten müsste.
    Ich weiche vom Thema ab. Täglich grüßt nicht nur das Murmeltier (war das nicht auch ein Tag im April? Ja, den Film könnte ich mal wieder gucken. Yuppie.., ich könnte die Idee als Date -zumindest mit mir- in den leeren Kalender schreiben), sondern eine Gruppe zunehmend verzombierter Mitbewohner. Ist es denn schon Freitag? Egal, hatte ja eh nichts vor …

  3. Genau das Gefühl hatte ich gestern und heute auch. Ich habe meinen Bürotag am Freitag, gestern war ich total verschreckt, ob ich ins Büro müsste, bis mir ein Blick auf Datum und Kalender bescheinigte, nein, heute ist Heimbüro angesagt.
    Und wie ich dann heute, nach der Arbeit in den büronahen Supermarkt ging und es statt Freitag, 16.30 h plötzlich von einer Sekunde zur Anderen Sonntag späten Nachmittag (wenigstens die Uhrzeit stimmte) war… Ein wirklich seltsames Gefühl.
    Und dann die Wehmut und die Traurigkeit, als ich an den geschlossenen Geschäften vorbei ging und die längst bekannten angeschlagenen Mitteilungen bzgl der Corona-Situation sehe…
    Sehr seltsame Zeiten und ich hoffe, dass die finanziellen Rettungsmaßnahmen für die jetzt Betroffenen helfen und alle, die es nötig haben, größtenteils unbeschadet aus der Situation heraus finden.

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