Bevor ich morgens mit dem Home-Office, der Home-School und dem Home-Home, also dem Haushalt, beginne, gehe ich einmal um den Block, ich werde sonst verrückt, also noch verrückter, wenn ich nicht genug Bewegung habe, und “aufgrund der aktuellen Situation” brauche ich viel Bewegung, gerne auch mehr als 10 Kilometer, aber bitte gegangen, nicht gejoggt. Ich gehe also um den Block, da kommen mir zwei junge Männer entgegen, wobei sie so jung nun auch wieder nicht sind, aber doch immerhin deutlich jünger als ich, was ja allmählich kein Kunststück mehr ist. Die beiden tragen Anzüge und ziehen Rollkoffer. Sie tragen etwas überschicke Anzüge, mit einer blendend frischgekauften Eleganz, die etwas zu sehr danach aussieht, als hätte man ihnen vor zehn Minuten erst beim Herrenausstatter in die Garderobe geholfen, so perfekt sitzt alles, so stimmig ist alles, so adrett sind die Einstecktücher, so blank spiegeln die Schuhe. Von allem ist das etwas zu viel und ich denke an die alte Geschichte der britischen Gentlemen, die neue Anzüge angeblich von den Butlern haben eintragen lassen, damit die guten Stücke nur ja nicht mehr neu aussahen, wenn sie zum ersten Mal ausgeführt wurden. Neu war peinlich. Man hatte, was man hatte, und zwar möglichst immer schon. Davon sind diese beiden Männer auf der Straße vor unserem Haus allerdings weit entfernt, die fallen eher unter das, was man früher als Laffen bezeichnet hat, ein Wort, das leider auch völlig aus der Mode gekommen ist.
Aber in der Nähe unseres Hauses residieren Consulting-Firmen, da trägt man so etwas, da passt das auch, nehme ich an, da war man übrigens auch die ganzen letzten Wochen über wichtig, wichtig auf Reisen und rollkofferte weiterhin so herum, während sonst alles stay at home spielte. Das fiel schon auf, weil sonst überhaupt niemand mehr rollkofferte, auch das war eine erfreuliche Entwicklung in schwierigen Zeiten. Nur Menschen mit ganz, ganz bedeutenden Projekten machen das jetzt noch, dieses Herumhasten mit holperndem Hardcase, und so gucken die dann auch, so bedeutend, es ist wirklich ein wenig peinlich.
Mir fielen also diese lärmenden Rollkoffer auf, die aus dem Alltag ansonsten weitgehend verschwunden sind, mir fielen die Anzüge auf, nicht nur wegen ihrer etwas albernen Katalogtauglichkeit, auch weil es überhaupt Anzüge waren. Es trägt ja niemand mehr Anzüge, die Anzugmänner sind seit Wochen aus dem Straßenbild verschwunden. Vielleicht sind die Hoodiemänner überall in Wahrheit die Anzugmänner von früher, vielleicht werden die Anzugmänner aber auch alle während der Krise irgendwo eingelagert, ich weiß es nicht.
Ich selbst würde allerdings auch gerne wieder mal Anzug tragen, ein Herrenanzug ist super. Nicht wegen des Looks, nein, ich sage das eher aus Huckleberry-Gründen, denn ein Herrenanzug hat insgesamt neun Taschen oder mehr, das finde ich sehr einladend. Es ist kinderleicht, Zeug für neun Taschen oder mehr zu benötigen und dauernd dabei haben zu wollen, da muss ich nicht lange überlegen, schon bin ich wieder überladen. Aber ich kann ja zur Zeit gar keinen Anzug tragen, denn das Büro ist leider in der Wohnung und da wäre ich mit den passenden Schuhen zum Anzug zu laut auf dem Laminat, da würde ich die Konzentration in der Homeschool stören, um Gottes willen, und müsste also auf Socken oder in Hausschuhen herumlaufen, und Hausschuhe zum Anzug, das ist so dermaßen falsch, das tut geradezu körperlich weh. Als würde man sich morgens den Scheitel auf die falsche Seite frisieren, so fühlt sich das an, alles ist dann plötzlich falsch, das ganze Körpergefühl stimmt nicht mehr.
Ich könnte natürlich im Anzug wenigstens um den Block gehen, aber das wäre auch wieder nicht richtig, denn dann müsste ich mich ja hinterher gleich wieder umziehen und in einen Hoodie und eine Jeans steigen, was sich aber unweigerlich nach Feierabend anfühlen würde, und zwar nach Feierabend morgens um sieben; ich kann so nicht arbeiten.
Man hat aber auch Probleme!
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Und übrigens bin ich der Meinung, dass der Innenminister zurücktreten sollte.
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Sie können hier Geld in den allerdings nur virtuell vorhandenen Hut werfen, ganz herzlichen Dank! Sollten Sie den konventionellen Weg bevorzugen und lieber ganz klassisch etwas überweisen wollen, das geht auch, die Daten dazu finden Sie hier. Merci!
Vielen Dank für das Verb „rollkoffern“.
Das Lesen der Blogs aus dem Leben der Buddenbohms macht immer wieder gute Laune. Danke.
„Rollkoffern“ ist geradezu grandios!
ICH KANN SO NICHT ARBEITEN!
Laffe? Ich kenne nur Lackaffe, das allerdings vermutlich in einer ähnlichen, wenn nicht sogar gleichen Bedeutung.
Danke für die präzise Beschreibung einer der aktuellen, neu aufgetretenen Alltagsmaladitäten.
Bei mir steigt das Feierabendgefühl auf, wenn ich aus Sonnenstandsgründen vom Ost- in den Westflügel (und dort auf den Balkon) wechseln kann.
@Hadfensonne: Der Duden schlägt auch „Zierbengel“ vor, das ist ebenfalls ziemlich schön.