Massiv gelockert

Gestern stand etwas von “massiven Lockerungen” in den Schlagzeilen, da fand ich die Formulierung etwas seltsam. Massiv und locker, das passt doch nicht? Das kann man doch so nicht schreiben? Aber egal. Das geht mir gerade dauernd so, dass ich mit den Meldungen in den Medien nicht klarkomme, dauernd stören mich Wortwahl oder Inhalt oder beides, gewiss liegt es an mir. Ich werde ungnädig, das wird es sein, der Weg zum Nörgelrentner liegt klar vor mir. Dazu passt auch meine phänomenal schlechte Laune heute, für die mir nicht einmal ein plausibler Grund einfallen wollte, der Tag war einfach nicht meiner, aber es wollte ihn mir auch keiner abnehmen. 

Ich las dann doch einmal etwas, eine Erzählung vom ollen Raabe, “Zum wilden Mann”. Das war eine rechte Wahl für misanthropische Wallungen, wir kommen darin insgesamt nicht gut weg. Aber vonne Erzähltechnik her, falls Sie so etwas interessiert, ist das übrigens ein Knaller, das Büchlein, wie der Erzähler da zu Beginn die Leser ins Haus bittet, wie er zwei Seiten etwas lang und breit beschreibt, um dann zu notieren: “Ohne lange Beschreibung, das Wetter war …” Raabe wird ja gerne mal unterschätzt.

Massiv gelockert gibt sich die Stadt also, das habe ich schon vom Sofa aus wahrgenommen, dafür musste ich nicht einmal rausgehen. Aufbrandender Verkehr, wildes Gehupe, Lärm allenthalben. Gekeife auf der Straße, Autofahrer schreien sich an, Bauarbeiter rufen sich etwas zu, ein Mensch schiebt ein entsetzlich klapperndes Metalldings über den Fußweg, dessen Zweck sich mir von oben nicht einmal erschließt, furchtbar laut ist es jedenfalls, laut ist alles, unruhig, brodelig und nervös, alle müssen wieder irgendwo hin und das scheint der Stimmung nicht zu bekommen. Vermutlich wollen alle irgendwo hin, aber nicht genau dahin, wohin sie jetzt müssen, denke ich mir. Über dem Haus steht ein Hubschrauber und fliegt einfach nicht weiter, er knattert da alles voll. An der Alster ist eine Demo mit Autokorso und das Aufwachen der Straßen ist insgesamt etwas unschön. Aber man selbst wacht ja auch nicht immer schön auf, was kann man da von der Millionenstadt erwarten. 

Nur die Kinder auf dem Spielplatz, die sind ganz leise, wie scheue Wildtierchen. Sitzen da in der Sandkiste und gucken sich so um, vorsichtig. 

Wenn man nicht gerade vor einem der immer noch geschlossenen Restaurants steht, wenn man kurz ausblendet, dass an jedem Ladengeschäft irgendwelche Zettel mit Erklärungen und Hinweisen hängen, es fühlt sich an wie Hamburg damals, vor März. Vormärz! Gleich wieder in die Homeschool und schnell Geschichte nachlesen. 

Nein, ich gehe raus und sammle Sätze. Im Vorübergehen gehört:

“Über die Folgeschäden berichtet ja keiner, aber bei der ist das so, die kommt nicht einmal mehr in den ersten Stock.”

 

“”Es geht ja auch im die Autorität von Frau Merkel.”

“Ja, ja, die Merkel.”

 

“Alkohol und Zigaretten sind gar nicht so schlimm, wenn man Tabletten dazu nimmt.”

“Sag mal, spinnst du jetzt völlig?”

Im Bahnhof steht einer, der von seinem Hass zerfressen wird. Man kann es förmlich sehen, wie es ihn von innen her zerreißt. Der redet auch von der Merkel, aber er bringt nur immer wieder den Namen gepresst hervor, “Merkel, Merkel”, er hat die Fäuste geballt und sein Oberkörper schaukelt etwas. Sein Gesicht ist ganz rot vor Anstrengung, so stößt er wieder und wieder fluchend ihren Namen hervor und Sinn scheint das nicht weiter zu haben. Er spricht auch keine Menschen an, er ist nur einer von denen, die dauernd etwas von sich geben, einfach ein Wutbrabbler. Ihm gegenüber, auf der anderen Seite der Wandelhalle, steht eine von seiner Art, eine wütende Frau, die beliebig Leute anpöbelt und ihnen ein paar auf die Fresse anbietet, dem Dreckspack, das da so herumläuft, komm doch her, du! Du Sau! Aber jetzt hat sie sich auf den Mann da eingeschossen, auf den mit der Merkel, Merkel, der ist nämlich der einzige weit und breit, der nicht weggeht, wenn sie sich mit ihren Beschimpfungen nähert. Und sie ruft ihm immer wieder zu: “Komm doch rüber, wenn du was willst! Kriegste aufs Maul!” Sie droht ihm mit der Faust und es klingt eindeutig gewaltbereit, gar kein Zweifel möglich, die meint das völlig ernst, aber der andere bekommt das natürlich überhaupt nicht mit, weil er vermutlich gar nichts mehr mitbekommt, die Sätze nicht und die Leute nicht, der bleibt da immer weiter stehen, guckt ins Leere und stößt weiter “Merkel, Merkel” hervor. Der Mann und die Frau stehen mit gehörigem Abstand, weit mehr als es die Hygiene neuerdings erfordert, und sie bewegen sich nicht weg und nicht aufeinander zu, sie stehen und bilden da eine Zwickmühle des Hasses. Und zwischen den beiden gehen unentwegt Leute durch, die müssen irgendwo hin und halten sich für vergleichsweise normal, so auch ich. Aber was weiß man schon.

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Und übrigens bin ich der Meinung, dass der Innenminister zurücktreten sollte.

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Ein Kommentar

  1. „gewiss liegt es an mir“
    Da kann ich Ihnen nur ein ganz entschiedenes und klares Nein zurufen!

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