Wir gehen herum

Ich gehe mit Sohn II durch die Gegend. Wir unterhalten uns über das Schreiben und darüber, dass ich gerade eine Idee für eine Kolumne brauche und auch deswegen so herumgehe und gucke, denn irgendwas ist ja immer, man muss es bloß sehen. Das ist so ähnlich wie bei einer Jagd, nur ohne Töten, wir mögen das beide. Wir gehen also herum und sehen überall nach, es ist aber nichts. Die Leute sehen heute geradezu aufreizend normal aus und sie machen auch nichts, was irgendwie interessant sein könnte, dabei gucken wir wirklich genau, der Sohn und ich. Wir haben immerhin Erfahrung und Übung zusammen, unsere Wanderungen an der Ostsee etwa waren recht ergiebig. Die sind in diesem Jahr übrigens schwierig, denn man wird keine spontanen Übernachtungsplätze an der Küste mehr bekommen können, da weiß ich noch nicht, ob ich das überhaupt irgendwie lösen kann. Vielleicht gehen wir stattdessen durch Hamburger Naturschutzgebiete, denn die kennen wir durch die Bank nicht, das ist auch schlimm. 

Erst einmal gehen wir aber einfach weiter durch unseren Stadtteil und reden dabei. Der Sohn kommt auf den fürchterlichen plattdeutsch-englischen Titel “Kieken und Speaken” für solche Spaziergänge. Das klingt leider nach Kaffeefahrt für ältere Herrschaften aus der norddeutschen Provinz. Ich bin wirklich entsetzt, aber der Sohn amüsiert sich bestens über meine Reaktion und wird sich daher noch lange an die Bezeichnung erinnern, ich lerne es auch nicht mehr. 

Wenn ich so alleine oder mit ihm herumgehe, dann ist das ja wie Freizeit, überlegt der Sohn, aber wenn ich dabei auf eine Idee warte, irgendwie auch nicht. Wir reden also über Arbeit und über Arbeit, die Spaß macht, und wir reden auch darüber, ob Schreiben überhaupt Arbeit ist. Wir reden darüber, wozu man Lust hat und was man will und was man muss, und wo da die Schnittmenge liegt, wenn sie denn irgendwo liegt. Wenn man zur Schule geht, dann kennt man das Thema ganz gut, stellen wir fest. Dann kommen wir noch auf das Können, da wird es gleich noch schwieriger. Das Wollen, das Müssen und das Können, das sind gleich drei bedeutende Themen in einem kurzen Straßengespräch. Wenn man das erst weiß, was man will, was man kann und was man muss, wenn man da erst einmal eine brauchbare Antwort drauf hat, dann ist man wirklich weit, denke ich und das sage ich auch. Wobei sich das aber auch noch dauernd ändert, denn man reift ja so heran, also im besten Fall wenigstens, es ist wirklich kompliziert und alleine die Frage, was man will, im Grunde ist sie ja ohne eine längere Therapie gar nicht zu beantworten und bleibt danach vielleicht dennoch ein Rätsel. Und was man kann, da ist man sofort knietief bei der immer heiklen Selbstbild/Fremdbild-Geschichte. Was man muss, da biegen gleich Jura, Philosophie, Soziologie und vermutlich noch ein paar andere Wissenschaften um die Ecke, gucken ernst und drohen einem Fachgespräche an. Währenddessen stehe ich an der Ampel, über die ich nicht bei Rot gehen will, obwohl ich das könnte, aber wegen der Erziehung des Sohnes sollte ich besser nicht. 

Wir sind, denke ich, einerseits sehr schlau, da wir darüber so tiefgründig nachdenken können, über all das, niemand sonst kann das, soweit wir wissen. Wir sind aber andererseits vielleicht auch die dümmste Art im All, weil wir darüber überhaupt nachdenken müssen, während alle anderen einfach machen. Im Zauberberg von Mann wird die Hauptfigur an einer Stelle als “Ah, der Herr Konfusionsrat” angeredet, das habe ich mir gemerkt. Eine alberne Bezeichnung, aber doch eine ungeheuer treffende. 

Der Sohn fragt, worüber ich schreibe, ich sage, ich schreibe meistens über so Kleinigkeiten zwischen den Menschen, über Winzigkeiten eigentlich nur, die irgendwie zu Geschichten werden können. Er hört zu und sieht sich suchend um, er zeigt dann auf ein Paar, das gerade vor uns geht und sagt: “Wie bei denen da.” Ich sehe mir das Paar an und entdecke absolut nichts, was mir auffallen müsste, die beiden sind so unauffällig wie die grauen Verteilerkästen der Telekom am Straßenrand. “Was ist mit denen?”, frage ich den Sohn. “Zwischen denen”, sagt er und grinst, “es ist zwischen denen.” Ich sehe noch einmal genau hin, ich sehe nichts. 

“Zwischen denen ist das Virus”, sagt der Sohn. “Aber eine Geschichte wird das erst etwas später. Weißte ja, das dauert immer ein paar Tage.”

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Und übrigens bin ich der Meinung, dass der Innenminister zurücktreten sollte. Auch wenn sich das bald erledigt hat

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