Wie in einem Buch

Ich schreibe schon seit Jahren keine Geschichten mehr, also Kurzgeschichten abseits des Blogs meine ich, dazu werde ich auch sicher in absehbarer Zeit sicher nicht kommen, auch wenn die Lust allmählich doch wieder zunimmt. Ab und zu notiere ich mir allerdings etwas, denn vielleicht komme ich ja später wieder dazu, also viel später. Im letzten Jahr ist mir eine Kurzgeschichte begegnet, also im richtigen Leben, die ist so klar eine gute Geschichte, das erlebt man gar nicht oft. Eine präzise umrissene Hauptfigur, eine originelle Handlung, ein super Ende – wenn man einmal darauf erachtet, gibt es nicht viele Geschichten, die derart passieren, dass sie bereits fertig ausgestaltet sind, also druckfertig. Aber diese war so, da gab es nix, sie war es auch auf den ersten Blick und nicht nur für mich war das zu erkennen, das sagten auch andere: “Na, das ist ja eine Geschichte! Wie in einem Buch!” Die kann man sich so gut gar nicht ausdenken, denken dann einige. Kann man aber natürlich doch. 

Egal, ich dachte jedenfalls schon monatelang, die könntest du ja mal aufschreiben, die ist doch vorgezeichnet, die musst du nur noch eben ausmalen, dazu kann man auch nebenbei kommen. Ich habe sie dann ab und zu im Kopf etwas sortiert, ich habe hier und etwas ausgemalt, versuchsweise etwas ergänzt und weggelassen, ich habe die Erzählstimme probehalber verändert. Ich habe gemerkt, die Idee ist robust gut, der kann man auf verschiedene Arten beikommen, sie geht immer auf, weil sie einfach im Kern gut ist. By the way, kennen Sie “Der Mann, der seine Bücher im Kopf schrieb” von Patricia Highsmith? Das ist auch eine interessante Geschichte. 

Die Geschichte, die ich da gehört und teilweise miterlebt habe, sie ist ernst und sie ist etwas traurig, sie endet aber nicht mit verwüstender Depressionsstimmung, sondern eher mit sachter Wehmut. Sie lässt einen womöglich etwas betroffen zurück, aber nur für einen Moment. So eine Geschichte ist das. 

Und neulich dachte ich, komm, jetzt machst du da wenigstens mal einen Anfang, mal sehen, ob das noch geht. Ich setzte mich also kurzentschlossen an den Schreibtisch und fing an mit dieser besonderen Geschichte, die von wehmütigem Ernst geprägt ist und mit leisem Bedauern ausklingt und eine feine Trauer hinterlässt. Nach drei Sätzen schon schrieb ich eine Pointe, und ich wusste wirklich nicht, wie die da hinkam. Im vierten Satz tauchten zwei Hauptfiguren auf, die ich aus einer ganz anderen Geschichte kenne, mir war überhaupt nicht klar, dass die jahrelang im Hintergrund meines Kopfes gelauert haben, aber die stellten sich da jetzt mit einer Bestimmtheit mitten in die Szene und führten einen Dialog auf … nach zwei Seiten ging es dann um etwas, zu dem ich nie eine Geschichte schreiben wollte. Und ich saß da und sah meine Finger an, sah die Tastatur an und fragte mich zum tausendsten Mal, wer hier eigentlich schreibt und welche Dämonen man damit weckt und was das mit einem macht, und eine der neuen Hauptfiguren stand währenddessen da in einem Garten, lehnte an einem Baum und grinste. Es ist ein überaus seltsames Gefühl, wenn man von den eigenen Figuren angegrinst wird.

Schreiben, so viel steht fest, ist eine wirklich abgefahrene Sache. Ich freue mich jedenfalls, irgendwann wieder Geschichten zu schreiben, das wird sehr unterhaltsam – also zumindest für mich. 

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2 Kommentare

  1. Dieses Verselbstständigen von Text und Setting kenne ich auch ..es hat etwas Entrücktes, jedenfalls für mich. Ja, eines Tages in nicht allzu ferner Zukunft blogge ich vielleicht auch Mal wieder. Dazu tut das Texten einfach zu gut …

  2. Dazu empfehle ich den Podcast Hotel Matze mit Ferdinand von Schirach. Er beschreibt den Prozess des Schreibens so lebendig, dass man am liebsten alles hinschmeißen und nur noch schreiben will. Viele Grüße!

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