Auf dem Balkon kolibirieren die Spatzen in Bandenstärke und mit mäßigem Erfolg am Meisenball. Im Vergleich mit diesen irrsinnig hektisch flatternden und hüpfenden Spatzen ist alles an mir schwer und ruhig, im Vergleich mit diesen Spektakelvögelchen bin ich seit quasi immer schon schon progressiv muskelentspannt. Das ist doch ein gutes Bild, denke ich mir, und ich mache mich auf dem Sofa lang. Da fliegen die Spatzen weg und ich muss mir meine Bilder wieder selber machen, nirgendwo wird einem nachhaltig geholfen.
Apropos Entspannung, die Herzdame hat da vor einigen Tagen den Versprecher des Tages, wenn nicht des Jahres von sich gegeben, einen ganz wunderbaren Satz. Ich könnte ihn mir irgendwo in goldener Farbe als Motto hinsticken lassen, so passend finde ich den für mich, sie sagte nämlich: “Ich wünschte, es wäre alles gut und unentspannt.”
Die Herzdame ist gerade nicht da, sonst würde ich sie spontan noch einmal für diesen Satz drücken. Die Söhne sind auch nicht da, es ist ganz ungewohnt ruhig in der Wohnung und auch auf dem Balkon. Nur eine Stubenfliege kreist knapp unter der Decke und erinnert mich daran, dass in meiner Kindheit jedes Wohnzimmer noch Stube hieß, das war norddeutscher Sprachgebrauch, aber das stirbt jetzt allmählich aus. Die Söhne gehen nicht mehr in die Stube, sie haben den Ausdruck so nicht parat, sie sind nachmittags schon gar nicht mehr “in de Stuuv”. Obwohl Stube, wenn ich da so hinfühle, etwas gemütlicher als Wohnzimer klingt, sicherer auch und auf eine Art wärmer, die wir nicht mehr zurückholen können. Tempi passati.
Die Fliege fliegt nur knapp eine Handbreit unter der Decke herum und lässt mich ansonsten in Ruhe. Nur ihr Summen ist in aller Dezenz zu hören, ein Geräusch, das gar nicht unangenehm ist. Ein Geräusch, auf das man gut achten kann. Es macht etwas müde, es macht etwas ruhig, es ist ein genau richtiges und auch ausgesprochen sommerliches Gesumme, es ist mir sehr recht. Die Fliege kreist eigentlich nicht, sie fliegt eher Formen, fällt mir nach einer Weile auf, denn ich habe ja Urlaub und nichts zu tun. Ich liege hier also total sinnvoll nur herum und wohne, denn das macht man so im Urlaub, wenn man gerade nicht reist. Ich gucke nur so in die Gegend, da ich auf dem Rücken liege, gucke ich also nach oben. Ganz seltsame Formen fliegt diese Fliege. Die Flugbahn könnte auch Buchstaben formen, stelle ich nach einer Weile fest. Sie merken, ich gucke da wirklich lange hin, denn im Urlaub soll man sich unbedingt Zeit für alles nehmen.
Ich sehe da eine elaborierte Kunstfliegerhandschrift am Stubenhimmel, aber ich kann sie leider nicht entziffern, obwohl die Zeichen klar und wiederholt geformt werden, mit schönen Schwüngen und feinen Schleifen wie in der Grundschule. Vielleicht sind es Schriftzeichen aus einem anderen, mir nicht geläufigen Alphabet, das kann natürlich sein. Ich beherrsche leider nur ein Alphabet. Die Fliege kommt allerdings auch nach mehreren Minuten über einen recht kleinen Radius nicht hinaus. Da wird also, das kann eigentlich gar nicht anders sein, ein Buchstabe immer über dem vorigen geformt – und so geht Schrift ja nun nicht, was ist das am Ende für ein Geschmier?
Ich hadere mit den höheren Mächten, die ich urlaubsbedingt allerdings nicht näher definiere, und sage laut, dass es nicht reicht, einfach nur Zeichen zu geben, nein! Und wenn es auch noch so kunstvoll geschieht. Der Empfänger muss sie schon auch lesen können. Höhere Macht sein, aber Sender-Empfänger-Modelle nicht kennen, was sind das hier wieder für Zustände. Wenn man Urlaub hat und sich alles in Ruhe ansieht, dann fällt einem eben auch auf, was alles nicht stimmt.
Die Fliege aber fliegt ungerührt einen abschließenden Schnörkel, Sela. Dann pausiert sie gelassen auf dem Lampenschirm. Feierabend. Ruhezeiten stehen auch denen im höheren Nachrichtendienst zu.
Ich mache jetzt ebenfalls die Augen zu und habe also, das ist mein letzter Gedanke vor dem Einschlafen, am Ende doch noch etwas verstanden.
Man hat es nur wieder wahnsinnig kompliziert ausgedrückt.
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Oh, Stube sag ich auch noch. Und Schlafstube. Und bei meiner Tante gibt es sogar eine „gute“ Stube (für Weihnachten und hohen Besuch….).
Und mein Mann und mein Sohn wissen immerhin, was ich damit meine…
In Bielefeld, wo ich wech komme, sagten wir auch Stube, mit einem großen Stubenschrank darin. Aber im weitesten Sinne kann man Ostwestfalen ja vielleicht noch Norddeutschland zurechnen.
Während die Stube ausstirbt, bleibt uns die Stubenfliege erhalten.
Ich wünsche noch einen wunderbaren Urlaub und uns noch einige dieser Urlaubsmomentaufnahmen.
Herzlichst, Ulli
Eine herrliche Momentaufnahme. Stube kenne ich von meiner Oma, die gute Stube, in die man nur Sonntags oder mit Besuch ging. Erst später war es dann eine Art Wohnzimmer wo man abends Fernseh schaute. Und Apropos Stubenfliege. Die gab es da Oma auf dem Land lebte in großer Zahl. Von der Decke hingen die eklig klebrigen Fliegenfänger.
Viele Grüße Carmen
Vielleicht waren es ganz viele Achten, im oder gegen den Uhrzeigersinn zirkulierend? Immerhin ist in der Mathematik die liegende Acht ja das Zeichen für „unendlich“.
Hier fliegen die Fliegen ihre Zeichen dreidimensional und es bricht jedesmal schwerste Action aus, nix mit Ruhe und einschläferndem Gesumm: Die Zweiflügler werden vom Kater zielsicher erbeutet und – gefressen.
Ich glaube, Stube ist nicht norddeutsch, sondern einfach alt, jedenfalls kenne ich das Wort sowohl aus der süddeutschen Kindheit als auch von der schlesischen Oma. Wobei wir natürlich „in d‘ Stuwwe“ gegangen sind.
gestern nacht erwachte ich im traum mit das wort stubenschrift. fragte mich ob dies wort existiert . auf hollandisch sicher nicht aber als ich das wort im internet anklickte las ich die ersatunliche geschichte bei Buddenbohm & sohne. ich war dan zu besuch bei meine Nichte die total mit Vogel beschaftigt ist und gerade wo sie vorgestern im pension gegangen war mit ein abschiedsfest.und dabei noch eine alte schreibmachine marke corona zuvorschein geholt hat.