Sohn I fährt auf einer Skate-Anlage herum, die Herzdame und ich sitzen am Rand und sehen zu oder lesen. Wir sind hier eigentlich nicht erforderlich, wir nutzen nur die Gelegenheit, irgendwo abgestellt zu werden, um erfolgreich nichts zu tun und dabei doch Familie zu sein. Man braucht Strategien! Die Herzdame liest, ich höre ein Hörbuch. Ich gehe etwas herum, ich gehe versuchsweise in den Schatten, ich stehe Skatern im Weg, ich gehe um den Platz. Ich bin ein eher mäßig erfolgreicher Herumsitzer, aber egal. Entspannung ist das dennoch, was wir hier machen, jeder auf seine Art, wir haben nichts weiter vor, wie wir uns gegenseitig ab und zu versichern, weil es so ungewöhnlich ist. Der Sohn fährt und fährt, er hört gar nicht wieder auf. Eigentlich sollte das hier nur ein kurzer Halt sein, es werden dann aber mehrere Stunden und es ist okay. Wir haben Urlaub, wir sehen bemüht nicht einmal auf die Uhr und die Zeit ist egal.
Zwei Brüder kommen mit Skateboards auf den Platz, die haben ihre kleine Schwester dabei, sie wird noch im Kindergartenalter sein. Die große Brüder fahren mit den Boards und sind etwas älter und cooler als alle anderen, das Mädchen geht an den Rand, setzt sich zu den Sachen der Brüder und passt auf. Sitzt da so und guckt etwas planlos herum. Nach einer Weile nimmt sie einen Basketball aus einer der Taschen. Und den rollt sie dann ganz langsam über den Asphalt und den vertrockneten Rasen, wobei sie davor kniet und genau hinsieht. Und zwar muss man sich das wie bei anspruchsvollen Forscherinnen vorstellen, sie ist nach einer Weile ganz Konzentration und so dermaßen vertieft in diesen rollenden Ball, sie bekommt überhaupt nichts anderes mehr mit. Es ist nicht zu erkennen, was sie da so brennend interessiert, vielleicht will sie wissen, wie das Rollen eigentlich vor sich geht, vielleicht überrollt sie auch Ameisen oder sie beobachtet, wie lange Sand und lose Grashalme am Ball haften, bis sie endlich doch fallen, das weiß ich nicht. Fest steht aber, sie sieht da mit aller Schärfe hin und sie prüft ganz genau. Sie rollt den Ball in Zeitlupe oder noch langsamer hin und her, sie schüttelt den Kopf und wiederholt die Bewegungen. Sie legt sich auf den Bauch und guckt aus dieser Perspektive noch einmal, sie lässt den Ball halten und runzelt die Stirn, sie denkt und denkt, einen Finger immer oben auf dem Ball. Die Brüder rufen sie, sie hört nichts, sie hat hier doch zu tun.
Ich überlege, wann ich zuletzt etwas so dringend genauer wissen wollte wie dieses Mädchen gerade, das Ergebnis fällt etwas beschämend aus. Unter meinem flüchtigen Interesse rollen sich die Wochen ab und ich denke zum wiederholten Male, dass man ab und zu noch genauer hinsehen muss, als Blogger schon gar, man muss einfach irgendwo anfangen und genauer hinsehen, und Zeit muss man dafür haben, mehr Zeit.
In einem Film jetzt Großaufnahme auf den Ball, wie er unter dem Finger des Mädchens einen Millimeter nach rechts aus dem Bild dreht und ein Sandkörnchen langsam, langsam sich löst und schließlich zögerlich fällt.
Schwenk auf ihr Gesicht, sie guckt ernst und nickt. So lernt man, und vielleicht auf keine andere Art.
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Hach! Danke für diesen Moment. Ich weiß gar nicht warum, aber ich bin zu Tränen gerührt.
Wow danke für diesen text!
Kinder in dem Alter sind die besten Forscher. dieses Fokussiertsein ist wirklich beneidenswert!
Danke auch für den Satz: „Wir sind hier eigentlich nicht erforderlich, wir nutzen nur die Gelegenheit, irgendwo abgestellt zu werden, um erfolgreich nichts zu tun und dabei doch Familie zu sein.“
Letzteres wird nämlich zunehmend schwerer, je weiter die Pubertät der jüngeren Familienmitglieder voranschreitet, und irgendwann macht man nichts mehr „als Familie“… und vermisst es dann doch arg. Ich wünsche Ihnen, dass dieser Zeitpunkt noch lange auf sich warten lässt!
Unfassbar gut
Jetzt hab ich so einen Kloß im Hals und feuchte Augen. Toller Text!