Horse in the rain

Auf dem mittlerweile aufgeweichten Reitplatz stand ein Pferd, duldsam im Regen. Das dachte ich, als ich aus dem Küchenfenster sah, vor dem ich mit der Katze auf dem Arm saß, denn ich denke oft so halb schreibend, immer auf der Suche nach dekorativen Nebensätzen, Aufhängern, Pointen, Motiven. Manchmal führt es zu etwas, manchmal führt es zu nichts, ich bekomme das aber nicht mehr aus mir heraus. Deswegen spielte ich also etwas mit der Formulierung herum, duldsam im Regen, duldsam im Regen, wofür kann man das nehmen, ist es am Ende ein Titel. Ich erfinde gerne Titel und schreibe die Geschichten dann nicht, ein etwas abseitiges Hobby. Duldsam also, so duldsam, wie der Mensch auch im Alltag steht, also ich jedenfalls, nicht immer alles verallgemeinern, Herr Buddenbohm. Ein hübsches Wort eigentlich, wenig wird es genutzt. Die Duldsamkeit. Unmodern und ungeliebt, denn duldsam, das ist man ja nicht mehr, duldsam sind vielmehr nur noch Schafe, Esel und Pferde, also dieses da jedenfalls, der Mensch aber, er ist durch und durch verlangend, gierend, aufbegehrend, nervös und hektisch.

Da ich mir das Pferd aber lange ansah, die Ruhephase der Katze verlangte es so, hatte ich Zeit, etwas mehr nachzudenken. Das Pferd stand auf dem Reitplatz, es hätte aber auch unter dem Scheunendach stehen können, das wären nur ein paar Schritte gewesen und seine Kollegen standen da tatsächlich, unter diesem Dachüberstand, sie blieben trocken und guckten von da aus in den Regen. Wieder andere waren auf der Weide und grasten ungerührt, Regen hin oder her. Das Pferd auf dem Reitplatz hatte den Kopf weder ganz oben noch ganz unten. Ich bin nun kein Pferdeexperte, aber ich dachte mir, vielleicht döst es gerade oder schläft sogar, Pferde können das doch. Ich konnte nicht sehen, ob es die Augen geschlossen hatte, ich weiß aber wiederum auch gar nicht, ob Pferde zwingenderweise mit geschlossenen Augen schlafen oder dösen. Wenn man erst anfängt, auf diese Art nachzudenken, kommt man schnell darauf, dass man überhaupt nichts weiß, oder doch jedenfalls verflucht wenig. Während ich mich also vor zwei, drei Gedanken noch als homo scribens stilisieren wollte, bin ich jetzt schon wieder im Stadium der Dummerhaftigkeit angekommen, sehen Sie, und zwischen diesen Ausschlägen, genau da liegt meine Mittelmäßigkeit. Dachte ich so, denn nach wie vor blieb mir Zeit zum Denken, die Katze auf mir schnurrte währenddessen immer weiter.

Ich sehe, so überlegte ich, diesem Pferd in Wahrheit gar nicht an, ob es da duldsam steht, das ist nur Wortgeklingel. Das Pferd kann ebenso gut total genervt von dem Regen sein, das kann da seit drei Stunden vor sich hin fluchen ob des elenden Wetters, und es steht vielleicht aus reiner Bockigkeit genau da und nicht unterm Scheunendach, solche Muster kennt ja jeder von sich selbst, doch, in solche Situationen kann man leicht einmal geraten, wie jeder weiß, der schon einmal geschmollt hat. Vielleicht war das Pferd aber auch in einem seligen Halbschlaf, fand das gleichmäßige Klopfen der Tropfen auf seinem Rücken irre meditativ und so dermaßen beruhigend, es versuchte schon seit einiger Zeit, die anderen Pferde davon zu überzeugen, aber die hörten ja nicht, die stellten sich lieber unter, weil sie sich immer schon untergestellt haben, nie versuchten die etwas Neues.

Oder das Pferd dachte einfach nach, man kann ja immer irgendwo nachdenken, dafür muss man nicht erst den Platz wechseln, man kann stehenbleiben und denken, auch auf einem Reitplatz, auch auf einem aufgeweichten Reitplatz. Oder aber es dachte überhaupt nichts, weil es dieses Denkproblem generell gar nicht hat, es kann da vielmehr einfach so stehen, womit es mir und uns allen ganz klar etwas voraushat, denn das könnten wir nicht, niemals könnten wir das. Immer würden wir alles durchdenken, vor und zurück und hin und her, bewerten würden wir das und analysieren, ergründen und erforschen, warum stehen wir hier, warum gerade jetzt und wie lange noch. Das Pferd aber steht da nur, denn das Pferd an sich hat damals im Garten Eden keine Äpfel gefressen, und ich rufe dem Pferd, das mich allerdings nicht hört, „Schwein gehabt!“ zu. Die Katze klappt ein Auge auf und sieht mich durchdringend an, ich sage lieber nichts mehr.

Die Duldsamkeit jedenfalls, an die ich vorhin dachte, die ist nicht im Pferd, also nicht beweisbar oder messbar jedenfalls, die Duldsamkeit ist allein in mir, den Bezug bilde nur ich und es ist in meinem Alltag zu klären, wieso ich eigentlich ausgerechnet auf dieses Wort komme. Das Pferd hebt den Kopf etwas an und geht langsam aus dem Bild, was in diesem Augenblick so dermaßen passend ist, manchmal glaube ich ja doch, dass alles mit allem zusammenhängt. Aber wissen kann man es nicht, dachte ich, während ich duldsam weiter aus dem Fenster und in den Regen sah.

Hinten wurde es heller. Denn das gehört zum Regen dazu, dass immer jemand sagt, hinten wird es heller, und wenn man niemanden hat, der es sagt, dann muss man es sich selber sagen, bei aller Duldsamkeit.

Hinten wurde es heller und die ersten Schwalben flogen schon wieder los. Aber dazu morgen mehr, ein Tier nach dem anderen.

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5 Kommentare

  1. Dieses „hinten wird es heller“ begleitet mich schon ein Leben lang. Hamburg eben, Dauerübung in Duldsamkeit.

  2. Danke fuer die schoenen Worte aus der Heimat. Es ist immer wieder eine Freude am Leben der Buddenbohm’s teil zu nehmen. Und was die Dultsamkeit angeht, das wussten schon die alten Chinesen. Steht doch ganz klar im I-Ching: „Foerdernd ist Beharrlichkeit.“
    Herzliche Gruesse aus Kalifornien.

  3. Karl Ove Knausgard ist ja nix gegen diese Ausführungen. Und der kann 5 Seiten darüber schreiben wie er eine Tasse aus dem Schrank nimmt oder wie er von A nach B geht; in einem Zimmer! Also ganz große Klasse Ihre Texte. Danke dafür

  4. schön auch diese (gewollte?) assoziation
    mit dem horse with no name 😉

    sehr feiner text!
    auch der mit der katze schon!

    freu mich auf die schwalbengedanken 🙂
    hab´s gut!

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