Am nächsten Morgen regnet es nicht auf Eiderstedt, aber es stürmt darüber hinweg. Nach dem Frühstück verschwinden die Kinder wieder in die Scheune oder sonst wohin, die Wohnung wird ruhig. Die Herzdame und ich gehen zu den jeweils bevorzugten Möbelstücken und lesen. Es ist nach wie vor kein Ausflugswetter, es ist eher ein Wetter mit einer deutlichen Sofaanweisung, ich gebe mich folgsam. Ich lese lange, ich lege das Buch weg, ich höre.
Es ist nur das Sausen des Windes zu hören, wie er unterm Dach pfeift und Tonfolgen übt, wie er nebenbei das Bauwerk prüft, wo man da wohl unterfassen kann, wie er da zieht und dort hebt, wie er drückt und stemmt, es ächzt im Gebälk. Der Wind reißt draußen auf den Weiden an den Bäumen und Büschen, er spielt nebenbei wilden Seegang in den Pfützen auf dem Hof aus und auch in den Gräben an den Feldern, er bringt die Tauben ins Trudeln und beschleunigt die Möwen auf fantastische Geschwindigkeiten, weiße Geschosse quer durchs Blickfeld, die jagen nach Husum oder weiter. Dann wieder nichts, es ist gar nichts mehr zu hören, eine Minute lang, zwei. Dann klappert etwas im Garten, ein Holz schlägt irgendwo im Wind, eine Tür, ein Fenster. Es ist nicht zu deuten, es ist auch egal, aber es ist schön, das ist es auf jeden Fall. Es ist schön, solange man nicht dafür zuständig ist, lass es klappern. Ein Gatter schwingt draußen hin und her, ein Schaf sieht einen Moment zu und grast dann weiter, das ist auch nicht zuständig.
Ein Kind weint und es ist nicht meines. Die Menschen sitzen in den Wohnungen und lesen und warten ab und ich bleibe ja dabei, ich kann mir Herbst und Winter auf Eiderstedt für mich gut vorstellen, für mich reicht das Programm da. Na, irgendwann einmal.
Jemand läuft schnell über den Hof, Kinderlachen. Ich sitze, ich liege, ich lese, ich lasse den Moment groß werden wie eine Seifenblase und der Tag rundet sich gemächlich, wie lange habe ich das nicht mehr gemacht. Die Zeit sich wölben lassen, schweben und abheben.
Ich blättere um und das Geräusch des Umblätterns ist so alleine, es füllt den Raum.
Draußen vor der Wohnung ist ein kleines abgegittertes Rasenstück, darin lebt eine Laufente, die wurde mit einem verkrüppelten Bein geboren. Laufenten haben es nicht so mit dem Fliegen, diese hier aber auch nicht mit dem Laufen, sie kommt also kaum vorwärts. Aber, wie der Chef sagt, die wollte nach dem Schlüpfen eben keiner, und er macht so eine halsumdrehende Geste, deswegen lebt die also noch und wird von den Kindern umsorgt. Sie hat einen sehr abgeliebten Teddy in ihrem Gitterchen liegen, den bekuschelt sie den ganzen Tag. Der Teddy ist wirklich wichtig für die Ente, den lässt sie nicht aus den Augen. Die einen Kinder deuten das so, dass die Ente den Teddy beschützt und bemuttert, die anderen deuten es eher so, dass der Teddy die Ente beschützt und ihr Halt gibt. Man weiß es nicht. Man weiß überhaupt sehr wenig, immer wieder muss man das feststellen.
Man weiß nur: Die Ente und der Teddy, die sitzen da draußen im Sturm und warten ab, ich sitze drinnen mit einem Buch und warte ab.
Es gab schon schlechtere Tage.
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“ Ich sitze, ich liege, ich lese, ich lasse den Moment groß werden wie eine Seifenblase und der Tag rundet sich gemächlich, wie lange habe ich das nicht mehr gemacht. Die Zeit sich wölben lassen, schweben und abheben.“
Ach, Herr Buddenbohm: Wieder mal Sätze für die Ewigkeit! Hinreißend – Ihre Schreibkunst. Danke für’s Teilhabenlassen.
Das wundervolle an solchen Tagen ist: Die wollen nichts von einem.
So ein Tristesse-Glück wahrzunehmen und dann auch noch in Worte zu fassen, das ist schon was! Danke, Herr Buddenbohm!
Es gab auch schon schlechtere Texte… 😉 Wenn auch seltenst in diesem Blog, aber dieser Text ist tatsächlich ganz besonders schön, macht er doch einen Tag, an dem andere im Urlaub wahrscheinlich „dat arme Dier“ kriegen würden, wie der Rheinländer sagt (sprich: Depressionen), zu etwas ganz besonders Schönem. Das ist Schreibkunst!
Vielen Dank dafür!