Das Gegenmodell

Als der Urlaub vorbei war, bin ich wieder ins Büro gegangen. Ich hätte auch weiter Home-Office machen können, aber ich hatte im ersten Halbjahr eher eine schädliche Überdosis von allem mit Home. Ich habe außerdem einen sehr kurzen Arbeitsweg, ich habe dort niemanden dicht neben mir sitzen und, vielleicht am wichtigsten, ich habe im Büro vernünftige Arbeitsmöbel und viel Platz, zuhause aber nicht. Ich ging also ins Büro. Das war aber trotz der aufgezählten Vorteile nicht ganz einfach, denn nach dem Urlaub bin ich üblicherweise nicht in der Spitzengruppe der Motivierten zu finden. Das Gefühl kennen Sie womöglich, es soll weit verbreitet sein. Ich hätte nach der Zeit auf Eiderstedt zu vielem Lust gehabt, ich fand den Urlaub diesmal ungemein inspirierend, aber er hat mich jetzt nicht direkt zur Fortsetzung der Büroarbeit angeregt.

Aber gut. Das kennt man. Ich arbeite seit 33 Jahren in einem Büro, ich habe durchaus ein wenig Routine mit diesem Gefühl und kann mittlerweile damit umgehen. Ich kann all die inneren Dämonen rechtzeitig bezwingen und zähmen, ich kann der Unlust Einhalt gebieten und hilfreiche Geister beschwören, die Disziplin und das Verantwortungsgefühl. Das Vorbildhafte spielt dabei natürlich auch eine Rolle, denn die Söhne wollten nicht zur Schule, eh klar.

Ich stand also stoisch auf und warf mich in meinen Anzug wie ein Kriegsheld in seine Uniform. Ich schritt zackig durch die übliche Morgenroutine und niemand hätte mir auch nur das geringste Zögern oder Zagen angemerkt, vermute ich jedenfalls. Nur ich ging an diesem Morgen los, die anderen Familienmitglieder hatten noch verschiedene Formen von frei. Nur ich stand zur Unzeit früh auf und spielte mit einer Intensität Alltag, als sei das die Rolle meines Lebens. Nur ich ging auf die Minute pünktlich aus der Tür und stellte mir dabei lebhaft die Bewunderung der anderen drei Buddenbohms vor, von denen aber, wie ich erst später am Tage erfuhr, keiner auch nur aufgewacht war, um meinen mustergültigen Abgang zu erleben.

Ich ging entschlossen los. Ich gehe meistens zu Fuß zur Arbeit und der Arbeitsweg ist nicht gerade schön, aber auch das konnte ich zur Einstimmung nutzen. Immer mehr Beton, Glas und Asphalt um mich herum, alles war quadratisch, praktisch, schlecht. Da musste ich durch, es führte kein anderer Weg nach Hammerbrooklyn, wie die Marketing-Junkies den Stadtteil gerne nennen, in dem das Büro liegt.

Ich ging schnell, denn ich gehe immer schnell. Das wirkt, Sie kennen das aus der Psychologie, auf den Geist zurück, denn wenn man sich zielstrebig und zupackend gibt, dann wird man auch so. Also zumindest der Theorie nach und wenn man sehr, sehr fest daran glaubt.

An der letzten Ampel stand einer, den hatte mir das Schicksal extra dahingestellt, um mich noch einmal zu versuchen, ich kann es mir zumindest nicht anders erklären. Der lehnte da breit grinsend am Ampelmast, und es war nicht zu erkennen, warum der da jetzt grinste, es war weder die Gegend, noch der Tag oder die Uhrzeit für ein Grinsen, es war geradezu ungehörig, dort zu dieser Zeit gut gelaunt zu sein. Aber egal, er stand da und grinste, breit und unrasiert. Auf seinem Sweatshirt stand, quer über die breite Brust: „Just do nothing.“ So wie der aussah – zur Arbeit ging der gewiss nicht.

An diesem Kerl und Gegenmodell musste ich also noch vorbei und ich schritt – ohne weiter hinzusehen! – noch einmal zügig aus. Da war ich auch schon im Büro, im Werktag, in der nächsten Phase, im Tunnel.

Was soll ich sagen. Es ist jetzt sechs Wochen her, ich lebe mich noch ein.

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