Ich sehe mir immer weiter all die alten (die ganz alten) Interviews von Günter Gaus auf Youtube an, ich stolpere (man muss es sich mit s-pitzem s-t vors-tellen, dann passt es zu ihm) auch dabei über wunderbare Stellen und Begriffe. So erwähnt er, also der Herr Gaus, da etwa das vermutlich mittlerweile ausgestorbene Wort S-paßvergnügen. Ich weiß nicht, wann ich das zuletzt gehört habe, es ist lange her, aber in meiner Kindheit lebte es noch, die Erwachsenen redeten damals so. Man macht etwas also nur so, zum Spaßvergnügen, was für eine amüsante Doppelung, ich hatte sie ganz vergessen. Es ist auf eine subtile Art etwas anderes als nur Spaß oder Vergnügen, das Spaßvergnügen, und es ist beträchtlich weit von Beruf und Sinn entfernt. In diesen Interviews mit ungeheuer ernsten und konzentrierten Politikern wie etwa Adenauer wirkt das Wort geradezu wie eine Zumutung, und man rechnet als Zuschauer mit einer böse gezischten Antwort, nein, so etwas mache ich nicht, warum sollte ich bitte etwas zum Spaßvergnügen tun, also wirklich, Herr Gaus! Worüber reden wir denn hier!
Egal, man muss natürlich im Anschluss überlegen, was man selbst eigentlich zum Spaßvergnügen tut und ob einem da überhaupt etwas einfallen muss oder nicht, so unter uns ernsthaften Menschen mit streng sittlicher Ausrichtung. Immer Bezüge zur Gegenwart herstellen, sonst lernt man nichts. Da also mal drüber nachdenken! Ich zum Beispiel, ich weiß das auf Anhieb gar nicht, ich komme auf nichts. Es ist aber vielleicht auch kein allzu gutes Jahr für solche Begriffsinhalte, nicht wahr.
Wir wollen das Jahr, gerade fällt es mir ein, am letzten Dezembertag einmal unter Verwendung dieses Begriffs zusammenfassen. Das können wir uns doch vielleicht schon einmal vornehmen, der Großteil des Jahres ist immerhin gelaufen, wir haben eine gewisse Sicherheit. Wir wollen uns also Silvester kurz vor Mitternacht kurz besinnen und dann bedächtig murmeln: „2020 war kein reines S-paßvergnügen.“ Und dazu blicken wir ernst und gefasst, als würde man uns in Schwarzweiß filmen, während wir feierlich die Lage der Nation erklären. Das ist eine schöne Vorstellung, finde ich.
Und wenn mich jetzt jemand nach Silvester fragt, dann kann ich also korrekt antworten: „Da habe ich schon was vor.“ Auch gut.
Nein, sehr gut sogar. Fast schon ein Spaßvergnügen.
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Mein Spaßvergnügen ist jede Woche der Tanzkurs mit meinem Mann. Reines Spaßvergnügen, auch jetzt und gerade jetzt.
Und ich bin gerade etwas erschrocken, dass mir auf Anhieb und auch in den auf den Anhieb folgenden Minuten so gar kein stattfindendes Spaßvergnügen einfallen mag. Wie kann es sein, dass ich das so gar nicht bemerkt habe?
Spaßvergnügen sollte ein Modus werden, ein Filter zum Vorschrauben, Richtung Gelb irgendwie.
Spontan fällt mir ein: Das Festhalten von hübschen oder genussreichen Momenten des Alltags in Fotos und das Posten dieser Fotos auf Instagram: ist das ist vielleicht Spaßvergnügen? Denn für mich hat es zwar eine Funktion und somit quasi einen Zweck, aber für die „ernsthaften Menschen mit streng sittlicher Ausrichtung“ unter uns ist das, wenn wir mal ehrlich sind, natürlich eine weitestgehend sinnfreie Beschäftigung. Sie gefällt mir aber einfach. Spaßvergnügen.