Eine Dankespostkarte

Rückseite

Ich habe zu danken, und zwar mehrfach und besonders, denn es kamen gleich mehrere Geschenke vom Wunschzettel, nein, etliche sogar. Darunter auch mehrere Mangas für die Söhne, die herzlich grüßen lassen: „Leserinnen sind super.“ Vielleicht war es aber auch ein Leser, es lag einer Sendung kein Zettel dabei, aber Leser sind wie immer mitgemeint. Um dem Trinkgeldbericht etwas vorzugreifen, es kam auch Geld ausdrücklich für Mangas und wir haben hier eine weiterhin geöffnete Buchhandlung mit großer Mangaabteilung im Hauptbahnhof, es kam in der Folge also auch noch zu einem größeren Einkaufserlebnis der besonders freudigen Art, das gibt es ja heute kaum noch. Danke auch dafür noch einmal, danke auch für die anderen Geschenke, wir waren erstaunt und hingerissen. Oder wie die Söhne sagten: „Los, Papa, schreib schnell noch was.“

Ich bin etwas spät mit diesem Dank, das tut mir leid. Es ist nach wie vor etwas schwierig mit dem ganzen Home-Everything, es hält etwas auf. To say the least.

Vorderseite

Ich möchte heute der Bob Ross unter den Bloggern sein, ich möchte mit Ihnen ein Bild malen. Eine Kunstpostkarte! Das hatten wir noch gar nicht. Es wird, das liegt im Moment nahe, ein Schneebild. Schnee kommt hier kaum vor, ich berichtete. Aber jetzt gerade, jetzt haben wir Schnee. Für unsere ärmlichen Verhältnisse sogar viel davon, mehrere Zentimeter, und sie liegen da so herum, wie es bei Schnee üblich ist, aber üblich ist das eben längst nicht mehr in dieser Gegend.

Unser Motiv liegt vor meinem Küchenfenster, an das ich frühmorgens trete, sobald man draußen etwas erkennen kann, sobald es etwas hell wird, dann sehe ich nämlich nach, was mit der Welt ist. Ich sehe vom Küchenfenster runter auf den Kirchhof, aber das ist für unser Bild egal. Ein Kirchhof wäre ja auch viel zu kompliziert, wir wollen es einfach halten, ich sehe also nur auf eine weiße Fläche. Alles weiß da, das kann jede, Schnee ist simpel. Die Spielgeräte, den Zaun und das Mäuerchen, das denken wir uns alles weg, auch den Basketballkorb und den riesigen Findling, sogar die Kirche und die Straße daneben denken wir uns komplett weg, da ist nur eine große Fläche, ein Hof eben. Und wir gucken so auf unsere weiße Fläche und dann wieder nach draußen und denken uns: So stimmt das aber gar nicht. Denn es ist früh am Morgen und das Weiß da ist keines, das haben wir nur vom Schnee abgeleitet, weil man den immer als weiß benennt. Das ist aber in Wahrheit irgendwie – ja, wie? Dezentblau, schwachgrau, atmosphärischlila? Das schwingt da alles mit und Sie rühren da jetzt bitte was zusammen und verteilen das zügig über den ganzen Hintergrund. Das kann ruhig strukturlos sein, denn eine Struktur ist beim besten Willen nicht zu erkennen, auch nicht auf den zweiten oder dritten Blick. Eine geschlossene Schneedecke ist das. Blauschimmernd, einigen wir uns darauf.

Und dann! Die große Eiche in der Mitte des Bildes, nichts mit goldenem Schnitt heute. Ein mutig hingepinselter schwarzer Stamm, der kann ruhig etwas Kawumm haben, der dominiert das Bild etwas mackerkhaft, der wird dick aufgetragen. Dann die Äste, die mächtigen Äste vor allem. Haben Sie eine Eiche im Winter vor Augen? Die unterscheidet sich von anderen Bäumen nicht unerheblich. Wenn Sie sich vorstellen, die Eiche wäre beweglich und das Bild, das Sie da gerade sehen, wäre ein erstarrter Moment aus einem Schwung heraus – haben Sie mal diese Zeitraffer gesehen, die es von wachsenden Pflanzen gibt? Von Bohnen etwa? Das hat etwas von Ballett, wie die sich grazil und elegant irgendwo herumranken, es ist ausgesprochen bewegungsschön. Die Eiche dagegen! Nix von Ballett, eher expressionistischer Ausdruckstanz. Die Gliedmaßen in einigermaßen erstaunlichen Positionen, das sieht dramatisch aus. Würden sich Eichen schnell bewegen, sie würden herumfuchteln und Äste ringen und Muskeln zeigen. Also bitte, die Äste mit etwas Zack und Verve, sonst ist es keine Eiche.

Bis dahin ist es immer noch einfach, die helle Fläche, der schwarze Baum. Aber wenn wir jetzt noch einmal hinsehen, dann sind die Äste alle schneebedeckt und eigentlich sind sie nur halb zu sehen. Wie aber sehen wir das eigentlich? Wo der Schnee doch so aussieht, wie die Fläche dahinter. Wir sehen einen halben Ast und nehmen einen ganzen wahr, wie genau geht das. Hat der Schnee auf den Ästen eine andere Farbe als der Schnee dahinter? Errechnet unser Hirn die Wahrscheinlichkeit einer Astform, auch wenn er nur halb da ist? Das ist schwierig, sehr schwierig. Man kann noch so oft hin- und hersehen, Schnee auf Ästen ist kein Anfängerniveau. Schnee auf Ästen ist in Wahrheit scheißschwer.

Sehen Sie, ich trickse da aber jetzt, ich punkte den Schnee so auf die Äste, dann wird es wieder leicht. Schneegesprenkel, das kann wieder jeder. Puderzucker, an der einen Seite des Stammes mehr als an der anderen, versteht sich, und da ist dann Osten, von da kam die ganze Pracht. Auf dem wüstesten und dicksten Ast der Eiche aber sitzt eine Elster. An der können Sie jetzt verrückt werden, denn malen Sie mal eine schwarzweiße Elster in einen schwarzweißen Baum vor einem weißen Hintergrund, also wirklich, das führt hier etwas zu weit, ich sehe es ein.

Ich sage Ihnen aber eben noch, wie es weitergegangen wäre: Die Elster flog auf, als ich das Fenster öffnete, und der Schnee von dem Ast, auf dem sie saß, zerstob zart unter ihr und rieselte am schwarzen Stamm entlang langsam zu Boden, wo er im liegenden Schnee verschwand und für uns, für die Betrachter, augenblicklich nicht mehr war. Schnee auf Schnee, Weiß auf Weiß.

Das ist alles. Nur eine Elster, die am frühen Morgen von einem schneebedeckten Baum abhebt. Es erinnert etwas an japanische Kunst, nicht wahr: Ein im Grunde schlichtes Motiv, aber doch unfassbar schwer in der Ausführung. Und wenn man zehn Jahre lang die Elster übt, dann stimmen vielleicht endlich ihre Schwanzfedern nach nur einem Pinselstrich.

Bis zum Stamm kamen Sie aber noch mit, ja? Na, immerhin.

***

Sie können hier Geld in den allerdings nur virtuell vorhandenen Hut werfen, ganz herzlichen Dank! Sollten Sie den konventionellen Weg bevorzugen und lieber ganz klassisch etwas überweisen wollen, das geht auch, die Daten dazu finden Sie hier. Wer mehr für Dinge ist, es gibt auch einen Wunschzettel. Merci!

5 Kommentare

  1. Sie stehen da am Fenster und malen für uns ein Bild, das vor meinem inneren Auge entsteht. Auch wenn die Pinselführung bei der Elster schwierig wurde, das innere Auge konnte mithalten. Große Erzählkunst. Vielen Dank für die Morgenstimmung.

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