Montag, Dienstag, Freitag

Montag, gefühlt Freitag. Ein Vogel weckt mich am Montag um 04:20, das ist selbst für meine Verhältnisse etwas früh, und so frühlingshaft hoffnungsfroh solch Gezwitscher auch oft wirkt, es überzeugt um diese Uhrzeit nicht recht, es nervt vielmehr etwas. Ich stehe stöhnend auf, ich mache mir Kaffee. Ich halte das Handy aus dem Dachfenster und checke die Birdnet-App, bzw. checkt diese App den Vogel. Ein Rotkehlchen, sagt das Ergebnis sofort. Aha, denke ich, wieder was gelernt! Was aber gar nicht stimmt. Ich habe nämlich beim ersten Schluck Kaffee schon wieder vergessen, wie der Vogel geklungen hat, zwitscher zwitscher eben, was weiß ich, so ein Geflöte und Getriller, wie Vögel eben machen, tirili. Nichts davon würde ich in zehn Minuten wiedererkennen, gar nichts, und nichts habe ich gelernt. So eine App ist gut und schön und kann tatsächlich etwas, viel sogar, aber ob sie mir etwas beibringt, ich weiß nicht recht. Da nochmal drüber nachdenken.

Ich fahre den Bürorechner hoch, ich weiß mein Passwort noch, dieser Urlaub konnte wirklich gar nichts. Der Rest des Tages entgleist dann gründlich, da decke ich den Mantel des Schweigens drüber, der allerdings etwas Übergröße haben darf, sonst guckt da verdammt leicht etwas raus.

Der öffentliche Bücherschrank, den hier jemand abgefackelt hat, ich erwähnte es gestern, er wurde wohl mittels Kaminholz in Brand gesteckt. Man sieht die angekokelten Scheite noch da liegen, so Feuerholz, wie man es aus ländlichen Wohnzimmern kennt. Was immer da für eine Geschichte dahintersteckt, gut wird sie nicht sein. Der Bücherschrank soll wieder aufgebaut werden, immerhin.

Dienstag, gefühlt Freitag, es ist endlos lange Freitag, immer wieder, und das Wochenende kommt nie. Die gestrige Nachrichtenlage lässt die Timelines verständlicherweise in heller Empörung, in Entsetzen und Entgeisterung zurück, es ist ein emotional ungemein aufgewirbelter Freitag, dieser Dienstag. Ich dagegen fühle mich bedrückt und seltsam unterkühlt, das kann alles nicht mehr gesund sein, das ist doch seelisch höchst bedenklich. Dann fällt mir wieder ein, dass ich in einer ungeheizten und fensterlosen Abstellkammer sitze, es könnte auch daran liegen. Der Blick fürs Wesentliche! So schwer. Ich setze mich in die Küche, ich brauche mehr heißen Kaffee. Viel mehr Kaffee.

Ich sehe aus dem Fenster runter auf den Spielplatz. Seit auf den Spielplätzen Maskenpflicht gilt, stehen da viel mehr Männer herum, ist das Zufall, ist das ein erwartbarer Effekt? Schon seit ein paar Tagen sehe ich immer wieder nach, dauern stehen da Männer, so viele Väter im Einsatz wie nie, es ist wirklich seltsam.

Home-School, der Konjunktiv. Hätte ich aufgepasst, ich könnte den Konjunktiv. Er sagte, er könne den Konjunktiv. In Mathe dagegen machen wir aus einer einfachen Zahl einen Term mit immer mehr und noch mehr Klammern, das Kind fragt völlig zu Recht: Warum? Es ist wie im Leben, sage ich, da ist irgendwas ganz einfach und überschaubar, dann spielt jemand etwas damit herum, schon ist es irre kompliziert. Alles spiegelt sich in allem und so. Das Kind fragt, ob es jetzt fertig sei. Nein, das ist es nicht, das ist es noch jahrelang nicht. Der Mensch als solcher wird nicht fertig. Schlimm.

Home-Office. Neulich bin ich zufällig mit dem Auto am Büro vorbeigefahren, also an dem Gebäude, in dem ich jahrelang gearbeitet habe. Unverkennbares Damals-Gefühl. Ach guck, den Stadtteil gibt es ja auch noch. Da haben früher viele Menschen gearbeitet, was war das mittags immer für ein Gedränge vor den Imbissen. Tempi passati.

Ich arbeite konzentriert, die Zeit vergeht. Im Grunde reicht es auch, finde ich dann, let’s call it a day, es ist auch alles ziemlich anstrengend. Ich sehe auf die Uhr, es ist erst 08:28. Hm. Ich sehe auf den Kalender, es ist immer noch Dienstag.

Es geht alles nicht mit rechten Dingen zu, so viel steht fest.

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3 Kommentare

  1. Ach Herr Buddenbohm, man möchte Sie in den Arm nehmen, ein wenig tröstend halten und zuflüstern: „Alles wird gut. Irgendwann“. Dieses sei mit gebührendem Abstand und Respekt in diesem Moment gestattet ….

  2. Ich hingegen danke für die offenherzige Schilderung der inneren und gerade jetzt eher unguten Vorgänge und Gefühle.
    Das tröstet angesichts der eigenen Verwirrungen und Lähmungen, das mildert das verzweifelte Fehlersuchen in sich selbst, das ist schreiberische Solidarität, so soll sie sein. Danke.

  3. Vielen Dank für den Hinweis auf die Birdnet-App! Wenn ich bei Muttern in Thüringen im Garten bin, da hör ich so viel fremdartiges Gezwitscher.

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