Es gab, vor allem auf Twitter, etliche zustimmende Kommentare zu meiner kleinen Anmerkung zu Ostern neulich, also zur nur halb scherzhaft gemeinten Frage, ob das denn schon war oder nicht. Diese kurze saisonale Verwirrung, die ich im letzten Text beschrieben habe, die teilten wohl etliche Menschen. Bei mir geht es gerade in dieser Form weiter.
Ich habe nämlich, um das eben zu erklären, den zweiten Impftermin Anfang August. Anfang August ist das Jahr aber schon klar abschüssig, da läuft ja alles schon auf den Frühherbst zu, da sieht man es in der Natur schon kippen, also normalerweise jedenfalls. Da ist es tagsüber noch heiß, aber abends vielleicht schon nicht mehr, es wird auch schon wieder früher dunkel usw., Sie kennen das. Der Sommer hat da bereits diese gewisse Ahnung von Endlichkeit, und mit jedem Tag wird sie deutlicher, bis man sich endlich Anfang September hinsetzt und mit viel Ach und wohligem Weh im Herzen wieder Herbstgedichte schreibt.
Da ich da jetzt einen Folgetermin habe, ist das aber quasi demnächst. Gleichzeitig hat das Jahr noch gar nicht richtig angefangen, denn es war ja kein Frühling, es war immer nur 12 Grad und bedeckt, es war Novembermärz. Ich habe keinen Frühling gefühlt und gehabt.
Und dann gleich noch eine Steigerung. Wir sind aufs Land gefahren, in wilde Nordostwestfalen. Über die Autobahn, durch ein knallgrünes Land im blendenden Sonnenschein, von dem im Wetterbericht gar nichts stand. Blühende Rapsfelder in Leuchtgelb, bunte Blumen an Feldrändern, königsblauer Himmel gleich hinter den Elbbrücken. Farben wie in der naiven Malerei, Norddeutschland als Postkarte, der bekannt menschenfreundliche Spargelbauer winkt heiter aus seinem Verkaufswägelchen an der Autobahnabfahrt. Und das kann ja auch alles so nicht sein. Wieso ist denn eigentlich alles grün, wieso gibt es Spargel und Erdbeeren, wann ist das bloß passiert, in welchen Wochen soll das denn so gekommen sein? Ich habe definitiv noch in keinem Jahr vorher als Erwachsener so wenig davon mitbekommen. Ich habe doch sonst ab März Knospen beobachtet wie Sherlock Holmes mit der Lupe, um nur ja kein Ergrünen zu versäumen, ich habe erste Blätter regelrecht gefeiert, ich habe jede Blüte verbloggt.
Dieses Jahr aber habe ich Home-Office und Home-School gemacht, draußen war es grau bei 12 Grad. Immer wieder, repeat, repeat, repeat.
Ich stehe höchst irritiert im Garten der Schwiegermutter. Die Johannisbeeren sind hier mindestens vier Wochen weiter als die in unserem Garten. Als sei ich bis nach Freiburg oder über die Alpen gefahren. Was ist hier eigentlich los? Das wird, ich habe da so eine Ahnung, die Frage des Jahres. Nein, sie ist es längst.
Wie auch immer. Das Jahr 2021 ist kalendarisch, saisonal und gefühlt für mich noch wesentlich kaputter als 2020. Faszinierend.
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Da muntert doch die Prognose des Virologen Streeck auf, dass im Herbst die vierte Welle zu erwarten ist…
Ich will überhaupt keinen Zynismus mehr und Wellen bitte nur noch die der Nord- und/oder Ostsee.
Das Empfinden von „noch kaputter“ mag daher rühren, das bereits ein Jahr schrägen Erlebens hinter uns liegt?
Hier sind es blühende Rapsfelder, die überhaupt nicht zu den schauderlichen Temperaturen passen wollen.
Aber heute ist die „Kalte Sophie, es kann also nur aufwärts gehen.
Ich hab ja in diesem Jahr eher das Gefühl, als sei es wettertechnisch ein bisschen so wie in den 70er Jahren. „Mai kühl und nass füllt dem Bauern Scheun‘ und Fass“, sagte meine Oma, wenn es wochenlang durchregnete. Der Geburtstag meines Onkels Mitte April hatte manchmal auf der Terrasse, manchmal im Wohnzimmer stattgefunden (von wo wir ins Schneetreiben vor dem Fenster schauten).
Jahrelang hatte ich eine Ofenheizung und mit Freunden darüber diskutiert, wann die Heizsaison vorbei wäre. Auf dass man dann im Mai bibbernd in der wohnung saß, weil die Kohlen alle waren, aber die Jahreszeit das nicht zur Kenntnis nehmen wollte. Insofern finde ich das zwar auch alles nervig, habe aber den Eindruck, als sei es irgendwie wieder „normaler“ als in den letzten Jahren. Und nein, es ist nicht „normal“, dass ab April 30 Grad sind.