Ich gehe ins Büro, was ich nicht müsste. Das Home-Office wäre auch okay, niemanden würde es stören, niemand würde auch nur fragen. Aber ich finde es doch ziemlich gut, morgens draußen gewesen zu sein, im Wetter, in der Jahreszeit und in der Stimmung der Stadt. Und ich finde es zu sinnlos, dafür nur um den Block zu gehen, für diese Nummer fehlt mir einfach der Hund, der mir sonst im Alltag allerdings keineswegs fehlt. Also gehe ich wie früher wieder ins Büro, durch einen ausgesprochen freundlichen Oktobermorgen mit Hoffnung auf Sonne und ja, ich weiß, es ist August. Vor der Grundschule (überlesen Sie das, wenn Sie mir auf Twitter folgen, es stand dort schon) schreit und weint ein Kind mit Ranzen auf dem Rücken, es will dort auf keinen Fall hinein. Die Mutter zieht an seiner Hand, nicht unfreundlich, aber doch, dann geht sie in die Hocke und spricht leise mit ihm. Ein paar Meter weiter geht gerade ein Erwachsener mit Notebooktasche einfach so in ein Bürogebäude, er hat sich längst an alles gewöhnt. Vor der Bäckerei liegt ein ringelnatzig Volltrunkener mit Kapitänsmütze auf dem Fußweg und verschnarcht den Morgen.
Drei vollkommen plausible Herangehensweisen, finde ich, es hat alles seine Berechtigung. Und was mache ich? Ich mache mir Notizen, dann gehe ich und mache auch weiter. Das ist auch halbwegs plausibel, bilde ich mir ein.
Ich kaufe mir einen Latte Macchiato auf dem Weg. Der Mann vor mir in der Schlange der Wartenden telefoniert auf Englisch, wobei er den Lautsprecher des Handys angeschaltet hat, was ich in der Öffentlichkeit für ein einigermaßen groteskes Benehmen halte, eine fürchterliche Unsitte ist das. Er redet auch noch während er bestellt, bezahlt und den Kaffee entgegen nimmt immer weiter ins Telefon. Ich könnte mich aufregen, weil das doch ungeheuer unfreundlich gegenüber der Kassiererin und den Umstehenden ist, was geht uns sein Gespräch an. Aber ich rege mich nicht auf, denn ich sehe seinen Gesichtsausdruck und ich sehe, mit wem er spricht. Er guckt wie kurz vor dem Dahinschmelzen oder vor den ersten Tränen und er spricht mit einer Frau, sie ist auf dem Bildschirm, es ist ein Videocall. Er hält das Handy zufällig so, dass ich es gut sehe, sie hat ein verschlafenes Baby auf dem Arm, die beiden sehen noch sehr nach Bett aus. Sie nimmt ein Händchen des Babys und winkt ihm damit zu, er winkt mit einem Finger zurück und seine Stimme ist verdächtig brüchig und leise, als er nach ihrem Tag fragt und I miss you sagt. Warum auch immer er in Hamburg ist, er wäre lieber da, wo Frau und Kind sind, so viel steht fest.
Da also nicht aufregen, denke ich, da mal mitfreuen. Junges Glück und so, alles bestens. Schönen Tag noch, mein Freund, ich hoffe, Du bist bald wieder bei ihnen. Hatten wir den Unsinn der Dienstreisen nicht gerade abgeschafft? Wohl noch nicht gründlich genug.
Ich arbeite drei Stunden im Bürogebäude, dann gehe ich wieder nach Hause und arbeite dort weiter. Ich war schon draußen, das ist abgehakt, warum sollte ich noch den ganzen Tag im Büro sitzen, man kann das alles auch flexibel handhaben. Ich bin manchmal etwas langsam und immer noch dabei, alle neuen Möglichkeiten der Arbeitssituation auszutesten. Die des Ortes und die der Zeit. Ich muss weder durchgehend an einem Ort noch durchgehend x Stunden nacheinander arbeiten, das sind im Grunde nur Traditionen, das geht alles auch ganz anders. Aber man muss sich durchprobieren.
Ich habe das gleiche Problem wie Frau Herzbruch, ich arbeite seit zu langer Zeit ohne Wochenenden. Und ich fange jetzt wieder an, nach anderen Möglichkeiten zu suchen.
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Am Wochenende war ich auf einer Silberhochzeit, das sei noch kurz erwähnt, weil es doch eine Art Bruch ist. Denn wenn man auf Silberhochzeiten geht, dann sind das ja normalerweise die von alten Leuten, die von den Freunden der Eltern etwa. Also normalerweise ist das so. Es war diesmal aber die Silberhochzeit meiner Freunde, was zwingend bedeutet, dass wir das jetzt sind, die Zuständigen für derlei. Und während ich sonst kaum ein Problem mit der Altersempfindung habe, ich bin nun einmal so alt, wie ich bin, ist das doch so ein merkwürdiger Punkt … kurz mal darüber nachdenken. Silberhochzeit. Allein das Wort schon, es klingt seltsam nach Fernsehwerbung aus den Siebzigern.
Ich frage die Herzdame, wie lange wir eigentlich verheiratet sind, wir haben schließlich auch bald Hochzeitstag. Sie sagt, wir seien ein Jahr länger als im letzten Jahr verheiratet, die Herzdame ist ein Fuchs. Sie weiß es doch auch nicht, sagt sie dann, aber jedenfalls noch nicht 25 Jahre, nicht ganz. Das gewiss nicht. Ich rechne nach, ich schlage im Blog nach, auch dazu ist so etwas gut. Wir haben noch sieben Jahre bis dahin, das ist gar nicht so viel. Silberhochzeiten! Wie können die auf einmal bei uns angekommen sein, wie ist es denn bloß möglich. Man möchte sich vor den Spiegel stellen und „Echt jetzt?!“ rufen. Das Silberhochzeitspaar sah auf der Feier so jung aus wie immer. Wie unsere Freunde eben aussehen. Wie alle Gäste dort aussahen. Wie wir. Also in etwa.
Wobei ich noch einmal an einen verstorbenen Freund erinnern möchte, ich erwähnte die Geschichte vor Jahren schon einmal. Ein Mann, der an seinem Fünfzigsten Geburtstag in ehrlicher Verzweiflung und geradezu im Schockzustand zu mir sagte: „Man ist es innen nicht. Man wird innen nicht fünfzig.“ Und er litt ganz fürchterlich und ausgesprochen ernsthaft darunter, dass innen und außen bei ihm nicht mehr zusammenpassten. So sehr und auch so wortreich litt er darunter, und so oft sprachen wir darüber, dass ich viele Jahre vor meinem eigenen Fünfzigsten schon derart intensiv darüber nachgedacht hatte, dass ich sein Problem dann tatsächlich nicht selbst empfunden habe, als es bei mir so weit war. Bis heute nicht.
Aber ich hätte meine Freunde vielleicht fragen müssen, ob man eigentlich irgendwann innerlich 25 Jahre verheiratet ist. Das demnächst mal nachholen … man will ja auf alles vorbereitet sein.
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So sehr schön. Der Text. Du Schreibgott!
<3
Reicht das als Kommentar?
Ach was, ich lass das jetzt so.
Auf Ihre Frage kann ich sagen, innerlich ist „man“ auch nach 33 Jahren bzw. 22 verheirateten hier nicht so lang zusammen. Meist jedenfalls, und meist auch noch lange nicht lange genug zusammen. Ist vielleicht auch eine Frage der Einstellung, wie das eigene Alter.
Herr Buddenbohm!
Sie sagen es! Ich finde ja Heirat wird überbewertet.
Aber: Wer so lange steht, zueinander steht, der darf das Feiern.
Finde ich. Das ist ein Punkt, für den sie keinesfalls meinen Segen brauchen.
Ich habe das nicht geschafft, meine Ehe ist nicht gut gegangen.
Der Mann an meiner Seite hat mir großartige KInder gemacht, die wir gut ins Leben gestellt haben.
Wir haben Fehler gemacht.
Für ihn werde ich nicht sprechen.
Aber von mir kann ich sagen, es geht mir gut.
Darauf bin ich echt stolz.
So. I feel you. You know what I mean.
Ich bin im Krankenhaus.
Aber es geht mir besser. Ich habe Schäden an meinem Körper zu beklagen, das ist bekloppt.
Mein Problem ist, das Smartphone macht mir Ärger. Ich schmiere herum. Die Tasten sind unerreichbar.
Bitte keine Gesundheitstips.
Ich spreche sonst einen unverzeilichen Fluch.
Bei Voldemort!
Was für ein wunderschöner Beitrag, fast jeder Satz für sich genommen zitatfähig… Und der Freund hat so recht: „Man ist es innen nicht. Man wird innen nicht fünfzig.“ Das trifft auch für sechzig noch zu und überhaupt glaube ich, daß es jetzt immer so bleibt.
@Alexandra
Gute Besserung darf aber gewünscht werden?
In diesem Sinne, auch weil mir Ihre Kommentare auf den Blogs, wo wir uns gelegentlich begegnen, oft sehr gefallen, grüßt Trulla
Ich habe schon die „Goldene“ Hochzeit hinter mir. Es gehört ganz sicher viel Glück dazu, zum richtigen Zeitpunkt den richtigen Partner zu treffen, mit dem auch die unterschiedlichen Beziehungsphasen gelebt werden können.
Die Feste soll jede*r nach Wunsch feiern, wir hielten es immer lieber in kleinem Rahmen (zu zweit oder auf Reisen) Die „Petersilienhochzeit“ (wer kennt denn sowas?) habe ich sogar, aufgezwungen von Freunden, die sich diese Gelegenheit nicht entgehen lassen wollten, allein bestritten, da mein Mann nicht mal daheim war. Sehr komisch, aber auch irgendwie lustig.