Am Sonntagmorgen ist es herbstlich kalt im Garten, nein, fast schon winterlich kalt ist es in der Laube am frühen Morgen, und ich krümme mich zitternd um den dampfenden Kaffeebecher wie damals dieser frierende Mensch im nassen Zelt der Yes-Torty-Werbung, die Älteren erinnern sich gewiss. Ich verwünsche diese ganze unvernünftige Aktion. Was für eine selten abwegige Idee, bei diesem Wetter im Garten zu übernachten. Der Sohn dagegen, der nie friert, liegt selig ausschlafend im Bett und grinst träumend.
Vor dem Fenster Regen, Wind, großes Grau, der Wetterbericht sagt, es wird heute nicht mehr besser, morgen auch nicht, lass alle Hoffnung fahren Und dann landet da ein Vogel, ein seltsamer. Groß, bunt – noch nie habe ich so einen Vogel gesehen, er sieht fast unwirklich aus. Er sitzt auf einem Holzverschlag, ganz dicht vor meinem Fenster, und sieht in die Laube zu mir. Er ist eindeutig zu groß und zu fremd aussehend, um eine gewöhnliche Erscheinung zu sein, solche Vögel gibt es hier doch gar nicht. Was bitte ist das denn? Ich googele das später, das ist nicht sehr schwer, es war eine Brandgans. 153 Paare davon sollen in Hamburg leben, da hat jemand aber genau gezählt. Und einer von diesen nur 306 Vögeln also fliegt zu uns in den Garten, sieht sich dort einmal um und guckt dabei auch in die Laube, wer da so sitzt. Okay.
Tadorna tadorna, so heißt der Vogel mit der lateinischen Fachbezeichnung, das klingt wie ein Fluch in einem Fantasyroman: „Tadorna tadorna!“ Und dann zerfällt jemand zu Staub oder so, nachdem er diesen Spruch gehört hat, ich sehe es gleich vor mir. Tadorna tadorna, so etwas murmeln alte Männer mit sehr langen Bärten und seltsamen Hüten.
Der Vogel ist, so steht es in der Wikipedia, eine Halbgans, die aber auch einige Merkmale der „Eigentlichen Enten“ aufweist. Ist das nicht schön? Eigentliche Enten. Die haben wieder eine eigene Seite in der Wikipedia, auch das ist also eine Fachbezeichnung, ich könnte ganze Tage in der Wikipedia zubringen. Wobei das auch eine gelungene Bezeichnung für eine Schülerband wäre, von denen wenigstens eine oder einer im Bioleistungskurs ist, denn irgendwo muss die Kenntnis des Begriffs ja herkommen. Es gibt eine Oberstufenparty, es spielen die Eigentlichen Enten. Sie spielen ihren bekannten Hit „Tadorna tadorna.“
Habe ich also auch an diesem Wochenende wieder etwas gelernt im Garten, hat es alles dennoch wieder Sinn gehabt und Huck Finn fragt schon zum fünften Mal, wann wir da wieder schlafen können. Bald, sage ich, bald. Es darf nachts aber gerne Temperaturen im zweistelligen Bereich geben, dann bin ich vermutlich etwas entspannter.
Am Sonntagabend führe ich, wieder in der Wohnung und annähernd aufgetaut, mit der Herzdame ein Gespräch, in dem ich sie aus Gründen, die schnell in Vergessenheit geraten, wie es bei Beziehungsgesprächen so üblich ist, mit Excel vergleiche. Es geht darum, so viel ist klar, wer welche Vor- und Nachteile hat, und es geht auch darum, warum ich eigentlich nicht mit Excel verheiratet bin, das nämlich will die Herzdame einleitend wissen. Womöglich klingt in der Frage leise irgendein absurder Vorwurf an, wenn ich so im Nachhinein darüber nachdenke, möchte ich das nicht vollkommen ausschließen. Aber im Moment des Dialogs bilanziere ich selbstverständlich erst einmal die verschiedenen Eigenschaften, immerhin geht es um eine klare Frage.
Und jedenfalls nenne ich sie im Laufe des weiteren Gesprächs, um sie in ihrer charakterlichen Vielfalt deutlich von der kühlen und stets berechenbaren Logik des Kalkulationsprogramms abzuheben, „wildes Bioding“, merke dann aber sofort, weil ich ja stets ein aufmerksamer Beobachter zu sein versuche, dass sie das nicht eben schmeichelhaft findet. Kommunikation! Es ist dermaßen kompliziert.
Ich dagegen finde die Bezeichnung auch nach etwas Nachdenken gar nicht mal so unzutreffend, fast schon lobend eigentlich und womöglich auch im erotischen Kontext anwendbar … ach, lassen wir das. Aber es ist doch deutlich besser als Eigentliche Ente oder Halbgans, vielleicht können wir uns noch schnell darauf einigen.
Tadorna tadorna, murmelte er, kraulte seinen Bart und ging kopfschüttelnd aus dem Raum. Egal. Jetzt wieder was mit Excel.
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sehr gerne gelesen!
hab´s gut heute!
aljoscha
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Wann gibt es T-Shirts mit dem Aufdruck „Wildes Bioding“ im Fanshop zu kaufen?
Habe über div. blogs zu Ihnen gefunden und bin von Ihren Texten begeistert. Herzerwärmend??.
Birds on a wire, ach meine Jugend L. Cohen auch heute noch hörenswert.
Gruß aus Bavaria