Am Wochenende die postpandemischen Partynächte. Also um mich herum, ohne meine Beteiligung, und zwar ganz so, als sei das hier der zentrale Partykiez der Stadt. Ich mag mir gar nicht vorstellen, wie die Nächte dort gewesen sein müssen, wo in diesem Jahr wirklich der zentrale Partykiez der Stadt ist. Nicht dass ich wüsste, wo das gerade ist. Hier ist jedenfalls nur eine Nebenstelle. Aber laut war es dennoch, und wie, noch um eins, noch um zwei Uhr zerklirrten leere Flaschen auf dem Pflaster, dröhnte die unvermeidliche Achtzigerjahremusik aus Autos und von Balkonen, kicherten, kreischten, grölten und lallten nachtberauschte Menschen aller Altersgruppen und Schichten durch die Gassen und Straßen, zogen von der Alster zum Bahnhof und umgekehrt, stritten sich, schlugen sich, küssten sich, fielen sich in die Arme und lachten hysterisch.
Am frühen Morgen, noch vor fünf Uhr, zu meinem Tagesbeginn, stehen drei immer noch laut diskutierend unter meinem Balkon, eine Frau und zwei Männer sind es, einer davon ist weiß geschminkt, eine Theaterfigur. Sie umarmen sich reihum, alle Konstellationen einmal durch, dann diskutieren sie, stoßen mit Getränken in Dosen an, fangen wieder von vorne an und ahnen vermutlich nicht, wie laut ihr Dialog nach oben übertragen wird, in alle Wohnungen rings um den Platz, der Amphitheatereffekt. Übernächtigte Gestalten, überdreht immer weiter redend und redend, damit sie nicht nach Hause müssen, nur das nicht.
Ich überlege, wann ich zuletzt eine Nacht durchgemacht habe. Das ist lange her, ich weiß es nicht mehr.
Tagsüber in den Nachrichten und auch in den Meldungen der Bekannten das Gegenteil. Die Infektionen, die Sorgen, die Mahnungen zur Vernunft. Es sind wieder mehr krank um mich herum, viel mehr sogar, und wenn man es jetzt bekommt, so scheint es, dann fällt man mindestens eine Woche, eher aber deutlich länger aus und will von mildem Verlauf nichts mehr hören. Hier und da Personalmangel in Abteilungen und Betrieben, hier und da Reiheninfektionen nach Branchen-Events. Ganz Twitter hat wohl nach der Republica eine rote Warnapp, das kommt nicht unerwartet.
Ich lese weiter in Kristine Bilkau, „Nebenan“, ich lese auch Kritiken dazu. Da wird ihr mehrfach vorgeworfen, die Figuren seien zu sehr Konzept, das finde ich lustig. Also wenn es danach geht – gleich mal drei Viertel der Weltliteratur aussortieren, von Emma Bovary bis Captain Ahab und Konsul Buddenbrook und noch viel weiter – alle viel zu sehr Konzept.
Ich lese „Elefanten treffen“ von Kristina Schilke (der Titel wird in der Rezension gleich mehrfach falsch geschrieben, es heißt Elefanten treffen, nicht Elefantentreffen) und mag den Ton. Ich bin immer schon sehr zufrieden, wenn ich den Ton mag, im Grunde bin ich ein Klangleser. Oder wenn ich, wie etwa bei der Bilkau, die Gegend mag. Im Grunde bin ich ein Klang- und Kulissenleser.
Wie gut, dass ich damals doch nicht Germanistik studiert habe, ich hätte am Ende auf Inhalte achten müssen.
***
Sie können hier Geld in den allerdings nur virtuell vorhandenen Hut werfen, ganz herzlichen Dank! Sollten Sie den konventionellen Weg bevorzugen und lieber ganz klassisch etwas überweisen wollen, das geht auch, die Daten dazu finden Sie hier. Wer mehr für Dinge ist, es gibt auch einen Wunschzettel. Merci
Die steigenden Corona-Zahlen halten Händchen mit einer fiesen grippeartigen Erkältungskrankheit, sehr ähnliche Symptome aber eben negativer Test, die hat sich hier ordentlich durch die Reihen gefräst und war fast schlimmer. Ratlose Ärzte (naja, Bettruhe und Ibuprofen), genervte Lehrer und Chefs und ein gemurmeltes „Schon wieder eine Woche krank“ trafen zumindest bei uns eine gleichermaßen genervte Familie, die erst von Corona und dann davon mehrere Wochen aus dem Leben geschubst waren. Riesiger Mist! Und trotzdem ist es toll, mal wieder am Abend rauszugehen und ein paar ausgewählte Freunde zu treffen – das geht auch mit Vorsicht
Kristine und Kristina – sehr schön!
Zu Nebenan kann ich nur sagen: Es hat mir von der ersten bis zur letzten Zeile gefallen. Tatsächlich finde ich den letzten Absatz sprachlich am schönsten.