18 Grad, man bekommt endlich Luft am Morgen. Man kann wieder atmen wie früher, wann war denn das, im März oder so. Auf dem Spielplatz unten am frühen Morgen noch herumhuschende Leute aus der Drogenszene, Geschäfte im Gebüsch, leise Absprachen, gezischte Giftigkeiten, da läuft etwas nicht glatt. Wütend geht einer ab, schüttelt theatralisch eine Faust und flucht gedämpft. Zwei kommen hinter dem Bambus hervor, Frau und Mann, sie zieht noch ihren Rock hoch. Bezogen auf Vermietungen ist das hier: Gute Wohnlage.
Das Laub der Birke über den Dealern ist jetzt am deutlichsten frühverfärbt, das satte Grün wird insgesamt heller und heller, lichtes Gelb ist das Ziel. Alle anderen Bäume haben nur Veränderungen an einzelnen Blättern vorzuweisen, lediglich hier und da sieht man einen Farbeinschuss, eine Auffälligkeit, die Birke aber gibt schon gesamt nach.
Beim Einkaufen sind es 19 Grad draußen, und ich merke mir, dass ich 19 Grad angenehm finde. Vielleicht sogar ideal. Das beweist noch nichts für Innenräume, aber ich arbeite mich vor, ich lerne Temperaturen, wie neulich angedeutet. 19 Grad sind also exakt richtig, um mit Oberhemd und Anzug gelassen draußen herumzugehen. Man schwitzt nicht, man friert nicht, man kann geradeaus denken. Eine sympathische Temperatur.
Im Discounter ein gerade aufgebauter Stand beim Gemüse, da liegen die neuen Hokkaido-Kürbisse, die im Garten noch längst nicht so formidabel herangereift sind, in satt leuchtender Färbung. „Guck mal, es ist so weit“, sagt eine Frau im Vorbeigehen zu ihrem Mann und zeigt ihm die auffälligen Kürbisse. „Geh mir bloß weg mit Kürbis“, sagt der und geht weiter.
In den Timelines wurden vorgestern irgendwo schon Lebkuchen gesichtet, die stehen hier noch nicht. Aber es wird natürlich nur eine Frage von Tagen sein.
Ich räume meinen Schrank auf, ich sichte Klamotten, ich sortiere aus, ich sauge sogar im Schrank Staub. Ich falte Wäsche akribisch und sortiere neu. Hinterher sieht der Schrank aus wie in einem Wohnmagazin, ich möchte da nie wieder etwas herausnehmen, damit das immer so bleibt. So anständig, so befriedigend, so voll der guten Absichten und mit besten Aussichten auf eine wohlsortierte Zukunft, also gefühlt jedenfalls. Wie damals, in der Schule, wenn man in der ersten Woche nach den großen Ferien all diese neuen Hefte hatte, die vorne ordentlich beschriftet waren und innen noch sauber und leer und man dachte, diesmal schaffe ich es, diesmal wird alles musterhaft laufen, ein ganz neues Leben wird es sein.
„Das wird ein Tag,
unser Tag wird ein neuer Anfang sein.
An dem wir nicht mehr wanken,
in unserm Urteil schwanken.
Wo wir mit denen, die nach vorne schau‘n,
uns eine bessere Zukunft bau‘n.“
Klaus Hoffmann war das, vor langer Zeit.
Na, was man eine Woche lang eben so denkt, bis der Alltag einen selbst, die Hefte und auch die Schränke überrollt.
Am Abend spielt Bernd Begemann an der Bille. Es sind viele Menschen da, also für eine kleine, eher nachbarschaftliche Konzertreihe jedenfalls, und wir treffen etliche bekannte Menschen, die wir aus verschiedenen Zusammenhängen kennen. Ich glaube, das habe ich lange nicht mehr erlebt, so eine Veranstaltung, zu der man geht und dann alle paar Meter „Oh, hallo!“ sagt, und es ist sogar nett und erfreulich. Ein eher präpandemisches Setting.
In den Medien jetzt wieder die Hinweise, man möge doch bitte für Stromausfälle im Winter vorsorgen. Die Listen mit den Nahrungsmitteln, die dringend einzulagern sind. So viel Wasser, wie da für vier Personen und zehn Tage empfohlen wird, kann ich hier gar nicht lagern. Kerzen und Streichhölzer, so etwas. Ein Gaskocher, und ich denke, okay, die sind doch morgen eh ausverkauft, wenn das jetzt überall steht. Wir haben einen Gasgrill im Garten, um denen können wir uns vielleicht scharen, wenn der Strom tatsächlich tagelang ausfällt. Aber berichten werde ich davon dann nicht können, oder doch nur kurz, bis der Akku ebenfalls alle ist. Eine solarbetriebene Powerbank sollte man haben, das steht da auch. Ein batteriebetriebenes Radio. Ich habe das alles nicht. Ich habe nur ein paar Kerzen irgendwo, ganz kleine Lichter, die passen zu mir.
Eine Dose mit ewig haltbarem Pumpernickel steht hinten im Küchenschrank. Immerhin. Aber jetzt, wo ich sie erwähne, bekomme ich plötzlich Appetit auf Pumpernickel, ich krame nach der Dose und mache sie auf. Vielleicht bin ich für Vorratshaltung charakterlich auch gar nicht geeignet, denke ich kauend.
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Ich habe für das Goethe-Institut etwas über die Urlaubszeit geschrieben.
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Ich mag diese kleinen Kurkonzerte wie Herrn Begemann an der Bille. Man trifft sich, man nickt sich zu, manche im feinen Hütchen, andere mit neuem Picknickdeckchen. Die einen textsicher, andere mit intoniertem HmmHmm. Lauschig.