Verzicht überall

So viel Laub, wie jetzt schon fällt und früh vermodert – es wird da draußen an den Bäumen kaum noch Gold im Oktober geben können. Das passt schön zum überall angekündigten Wohlstandverlust. Die Natur macht uns den kommenden Mangel leise vor, früher Verzicht überall. Show, don’t tell – und da liegt es schon, das Laub.

Am Sonntag war es hier gleichzeitig kühl und schwül. Drückende Augustluft, die alle paar Meter von heftigen Windstößen verwirbelt wurde, die sich nach Nordsee anfühlten, nach weit draußen und nach viel später im Jahr. Dann nur eine Ecke weiter gegangen und auf einmal wieder der brütende Stadtspätsommer. Die Jahreszeiten gehen durcheinander, die Wetterzonen, die Saisonmoden auch, kurze Hosen unter Übergangsjäckchen an den Touristen. Gemengelage. Auch das französisch aussprechen, so wie die Gasumlage.

Am Montagmorgen dann knackfrische 16 Grad und das ist also der erste Morgen mit einwandfrei gültigem Herbstgefühl. Diese gewisse Schärfe in der Luft, unverkennbar ist das. Gleich möchte man ihr freundlich zuwinken, der nächsten Jahreszeit, gleich möchte man schon einmal im Schrank nach den Pullovern sehen, nach den Rollkragen. Akute Textilflauschvermissung.

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Ich lese Mathijs Deen, Der Schiffskoch. Deutsch von Andreas Ecke, hier eine Rezension dazu. Het Lichtschip heißt das Buch im Original, aber der deutsche Titel Das Feuerschiff war bekanntlich schon an ein bekanntes Werk vergeben, der ging also nicht. „Lakonische Kurzprosa“ stand irgendwo, das passt.

Es gibt einen Matrosen auf dem Feuerschiff, der Tagebucheinträge macht, die lesen sich etwa so:

„2.7. 01:25, Süd 2, See 0,1

Himmel: mattschwarz um hellen Mond

See: tiefschwarz mit fallenden silbernen Sternen“

Und ich denke beim Lesen, das möchte ich auch. So etwas beobachten, so etwas aufschreiben – was lustig ist, da es in dem Buch auch deutlich darum geht, wie sehr die arbeitenden Menschen an Bord dringend da wegwollen, von diesem nie fahrenden Schiff, von dieser lähmenden Ödnis auf See. Sie warten wochenlang auf die Ablösung und man denkt beim Lesen genau gegenläufig, ach, so eine gewisse Weile würde man es wohl schon aushalten, da draußen, mit den fallenden silbernen Sternen unter dem mattschwarzen Himmel.

Oder hier:

„15.6. 08:20, Nord 2, See 0,3

Himmel: schwellend grau-weiß, aber blaugrau am Horizont

See: hochwirbelnde Flocken Schwarz und Grüngrau“

Sehr akribisch würde ich das alles notieren, denke ich mir, die Farben und die Bewegungen und die Flocken. Aber das geht vermutlich nicht als Bewerbung durch.

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In den Foodblogs sehe ich währenddessen die ersten Kürbisrezepte, irgendwas mit Pumpkin-Spice, wir kommen voran.

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Ich war auf einem Festival, um darüber zu schreiben. Ich war früh da, andere Medienvertreter auch, noch vor dem Andrang der Gäste. Die einen liefen im Auftrag eines Fernsehsenders herum, die anderen für eine Zeitung. Eine Filmkamera für eine Vorabendsendung im Anschlag, eine Vollformatkamera für die Pressefotos. Und ich mit dem ollen Notizbuch, so schlichen wir umeinander und warteten auf echte Gäste. Aber nur ich habe dabei gelacht. Diese pirschenden Schritte, dieses jägerhafte Lauern, dieses genaue Hinsehen und Hinhören, dieses gespannte Abwarten. Schreib das auf, film das, knips das, ein Chronistenrudel auf Beutezug.

Genau genommen lache ich immer noch. Hyänenhaft, über meiner kleinen Beute.

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3 Kommentare

  1. Moin Max, „Der Schiffskoch“ könnte auch etwas für mich sein. Danke für den Buch-Tipp. Ich schaue gerade eine Foge nach der anderen von den „Segeljungs“ (guckst Du: http://segeljungs.de). 2018 schifften sie ohne jede Segelerfahrung in Fermarn aus, die Welt zu umsegeln. Seither sind sie auf den Weltmeeren unterwegs und berichten in ihrem Blog vom Blauwasser, ihren Abenteuern und Erlebnissen. Allerdings ist Obacht geboten: Das hat Suchtpotenzial und könnte die Jungs auf Ideen bringen… 😉 Aufmerksam wurde ich übrigens durch eine TerraX-Reportage. Hier schauen sie die Folge und geben Hintergrundinfos dazu: https://youtu.be/AQXDkSOgO9w. Viele Grüße in den Norden, Franziska

  2. Danke für den Lesetipp.
    Und schon allein für die „Akute Textilflauschvermissung“ schau ich jetzt wieder mal öfter vorbei, danke fürs zum Schmunzeln gebracht haben :-).

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