Der 18. Hochzeitstag. Das Handy zeigt mir diesen Termin als 18 Geburtstag von „Zuhause“ an, wie passend ist das denn. Die Herzdame und ich schenken uns Wärmendes, denn die Zeiten, sie sind nun einmal so.
Es regnet. Lang und dünn regnet es, es ist dieser langsame, dennoch gründliche Herbstregen. Man wird sehr nass, während man denkt, dass man schon nicht sehr nass werden wird, und dann ist man es auf einmal und guckt verstimmt. Auf dem Weg zum Einkaufen sehe ich all die schlecht gelaunten Gesichter und ich sehe ein Plakat, auf dem für eine Aufführung von Mozarts Requiem geworben wird. Es weicht im unaufhörlichen Septemberregen allmählich auf, das kommt mir schön und stimmig vor.
Über einer Bushaltestelle ein großes Fenster im zweiten Stock, da sitzt ein Vater mit einem Kind auf dem Schoß innen auf der Fensterbank. Das Kind ist klein, ein Baby noch. Der Vater zeigt nach unten und erklärt, da kommt der Bus, da steigen die Leute aus, guck, wie sie weggehen. Da führt eine Frau ihren Hund aus, da fegt einer den Fußweg vor einem Geschäft. Da guckt einer hoch und macht sich unter seinem Regenschirm Notizen. Das bin ich. Die Augen des Kindes folgen dem Finger des Vaters, es sieht alles und wird alles wieder vergessen, den Bus, die Frau mit dem Hund, den Mann mit dem Besen und auch mich. Ich winke ins Kurzzeitgedächtnis.
Die Menschen um mich herum tragen, das fällt mir nach einer Weile auf, heute nicht die neue Herbstmode. Heute tragen sie eher das alte Zeug aus den Vorjahren, vielleicht weil die neuen Sachen nicht nass werden sollen, vielleicht weil die noch „für gut“ sind. Die erst einmal bei Sonnenschein eintragen.
Ich weiß nicht, was ich lesen soll, ich weiß nicht, was ich hören soll. Vielleicht weil die Jahreszeit wechselt, die Stimmung, die Atmosphäre. Mir scheint alles unpassend, wenn nicht sogar störend, selbst der Fontane, und das will etwas heißen. Ich bringe sämtliche Büchereibücher weg, ich finde den Gedanken gerade unangenehm, sie bis zu einem bestimmten Termin gelesen haben zu müssen. Ich lese so wenig zurzeit, so schlecht, so unkonzentriert. Dann doch lieber etwas aus dem Bestand nehmen, denke ich, es sind ja reichlich Bücher in der Wohnung, auch ungelesene. Ich überlege, was ich lesen möchte, ich will eigentlich gar nichts lesen. Vielleicht möchte ich etwas hören. Ich höre Blues, ich höre Jazz, ich höre Ambient Lounge, ich weiß nicht, was ich hören will. Ich höre „Nordic atmospheric Jazz“, aber wenn man schon bei solchen Playlists landet, dann will man, so denke ich, im Grunde doch nur irgendwo ein Nebelhorn an der Küste hören, uns sonst gar nichts. Ich stecke die Kopfhörer weg, ich gehe um den Block, ich höre Schritte und Verkehr.
Ich gehe zum öffentlichen Bücherschrank. Auch mal etwas dem Zufall überlassen. Einfach mal das lesen, was kommt. Es kommt der Herr Kagge, das Buch heißt Stille und es steht da, bis ich es mitnehme. Es ist doch eher platt, in solchen Momenten so ein Buch zu finden, es ist eher zu flach und zu schlicht, nicht wahr. So macht es das Leben, aber als Autor soll man dann bitte auf raffinierte Pointen kommen. Fair ist das auch nicht, ich stelle es immer wieder fest. Das Leben besteht aus Klischees und die Pointen kommen mit dem Holzhammer, jedenfalls oft, wenn nicht meistens. Man schreibt im Grunde nicht darüber, man schreibt dagegen an. Wie sinnlos ist das denn.
Ich gehe nach Hause, ich mache gar nichts. Ich lege mich aufs Bett, ich denke, ich kann ja einfach mal liegen, aus dem Fenster sehen und nachdenken. Ich schlafe sofort ein, in Sekunden. Ich schlafe zwei Stunden und muss mir danach erst wieder mühsam klarmachen, wer ich bin, in welchem Zeitalter ich lebe und wo überhaupt. Dann fällt es mir nach und nach alles wieder ein, meine Berufe, die Krisenzeit, Hamburg und alles, und natürlich auch, dass ich mit der richtigen Frau verheiratet bin.
Immerhin, denke ich, immerhin. Doch irgendwas richtig gemacht. Ich sehe aus dem Fenster, nicht vollkommen unzufrieden.
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Gratuliert man zum Hochzeitstag? Ich weiß es gar nicht, aber mein Glückwunsch an Sie und die Herzdame, die jeweils richtige Wahl getroffen zu haben, kommt von Herzen. Bitte sehr!
Danke!
Eine Atmosphäre wie in einem etwas fröhlicheren Hopper (falls das vorstellbar ist). Hat mich froher gestimmt.
Dankeschön!
Dieser Text ist wie die Aufzeichnung eines Seismografen, der die Stimmung vieler Menschen sehr klar spiegelt. Da stehen wir also und schauen in die Welt. Und wenn man ihre Texte liest, dann findet sich ein bisschen Hoffnung für die nächste Zeit- die Hoffnung, nicht in dieser Zeitenwende unter zu gehen. Zweifel ja- Verzweiflung nein. Daher : herzlichen Dank für Ihre Reflexionen und feinen Beobachtungen.