Nach Erwerb eines Raffscheins

Um mich herum ein erheblicher Krankenstand, hoch wie lange nicht, teils mit positiven Testergebnissen, teils mit eher traditionellen grippalen Infekten. Man liegt jedenfalls reihenweise flach, leidet und schwächelt. Wenn man Leuten aus dem Gesundheitswesen in den sozialen Medien folgt – ich bin für jeden Tag dankbar, an dem ich nicht dringend auf das System angewiesen bin, es scheint gerade wegzuklappen.

Auf Twitter stirbt mir schon wieder einer aus der Timeline weg und man kann sich, wie deep ist das denn, dann auch fragen, ob man den Toten weiterhin folgt, wohl wissend, dass sie einem bis in alle Ewigkeit folgen werden, wenn niemand ihren Account endgültig löscht – aber das gehört wohl schon in den November, das greift doch vor. Noch ist der Oktober um uns herum golden und festivalartig, jedenfalls solange man nur intensiv genug auf Bäume im Sonnenschein sieht.

Ich habe auf arte die Super-8-Tagebücher von Annie Ernaux gesehen, aber ich habe eventuell nicht durchgehend aufgepasst. Ich bin in etwa im Alter ihrer Söhne, die Kindheit, die dort gezeigt wird, hat Aspekte, die ich wiedererkenne. Tapeten, die wir auch hatten, Weihnachtsgeschenke, die ich auch damals ausgepackt habe, dergleichen. Man kommt ins autobiografische Nachdenken, wenn man Autobiografisches sieht, man treibt erinnerungsbeladen schnell ab, auch wenn man es gerade gar nicht möchte. Davon abgesehen fand ich es sehenswert.

Nebenbei ein Dank für sehr freundliche Kommentare hier und anderswo, die in die Richtung gehen, ich solle mal (wieder) ein Buch schreiben – ich habe kein Thema, pardon. Oder nein, ich habe vielmehr nur Themen, über die ich sicher nicht schreiben möchte. Und ich schaffe pro Tag auch nicht mehr, als man hier und in den Kolumnen lesen kann, mehr Zeit ist gar nicht verfügbar. Ich müsste also, wenn ich ein Buch schreiben sollte, weniger bloggen, wie herausfordernd wäre das denn?

Aber, wie gesagt, ich wüsste auch gar nicht, worüber. Für Fiktives fehlt mir die Zeit und die Besinnlichkeit, von der ich mir einbilde, sie zu brauchen, um überhaupt auf Ideen zu kommen. Später vielleicht einmal. Viel später. Bis dahin suche ich mir weiter nur Blogbares zusammen wie die alten Leute in den Märchen einst den Reisig im Wald, ich schleppe die Bündel nach Hause und werde berichten.

Reisig, ich habe das gerade auf der Wikipedia nachgelesen, wird auch Leseholz genannt, ein überaus anziehender Begriff. Schön: „Im Land Berlin ist der Erwerb eines „Raff- und Leseholzscheines“ erforderlich.“ Als schreibender Mensch braucht man also, so kann man schließen, erst einmal einen gedanklichen Raffschein, den man sich selbst ausstellen muss.

Ich kann meinen jederzeit vorweisen.

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Sie können hier Geld in den allerdings nur virtuell vorhandenen Hut werfen, herzlichen Dank! Sollten Sie den konventionellen Weg bevorzugen und lieber klassisch etwas überweisen wollen, das geht auch, die Daten dazu finden Sie hier. Wer mehr für Dinge ist, es gibt auch einen Wunschzettel. Merci!

 

4 Kommentare

  1. Toten in den Socials zu folgen, finde icg bizarr. Ich warte ein paar Wochen ab, ob ein Nachlassverwalter einen Abschied posten, und entfolge dann. Alles andere fühlt sich für mich falsch an.

    Wünsche gutes Gedankenraffen.

  2. Raffscheinkontrolle!

    Einmal vorzeigen bitte.

    Buchvorschlag:
    Bereits Gesammeltes in einem Buch zusammenraffen. (Ihre Kolumnen, die woanders als beim Goethe-Institut erscheinen, entgehen mir leider.)
    Oder Bücher, die rafffreundlich sind. Roger Willemsen (Momentum) und Hanns-Josef Ortheil (Was ich liebe und was nicht) sind gute Raffbeispiele. Für Ihre Raffungen ist auf jeden Fall immer ein Platz frei im Räuberinnen-Bücherregal.

  3. Die Idee mit dem Zusammenraffen finde ich gut. Vielleicht eine kleine fiktive Geschichte drumherum bauen. Es muss nichtmal besonders Spannendes und Aufregendes sein. Ich finde Ihre Beschreibungen allein schon so faszinierend und beruhigend. Ihre Beiträge machen mich so entspannt von einem stressigen Tag. Herrlich.
    Danke!

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