Beim Bäcker gibt es Schnecke Agathe, Mira Maracuja und Franz im Glück, ich kann das alles nicht bestellen. Bin ich in einer Bäckerei oder bin ich im Kindergarten, man will doch noch Unterschiede wahrnehmen. Ich möchte normale Brötchen und ich sage das auch. „Na, wie heißen die denn?“, fragt die Fachverkäuferin neckisch und zeigt auffordernd auf die Schilder an den Körbchen mit den Backwaren. Man kann auch einfach jeden Tag Toast frühstücken, denke ich, andere machen das immer so, jahrelang, das geht. Toast gibt es in jedem Supermarkt, und am Regal steht einfach „Toast“ und nicht „Willi Weichbrot“ oder so etwas. Glaube ich jedenfalls. Hoffe ich. Das mal überprüfen, schon wieder ein To-Do, so wachsen sie mir zu.
Auf Instagram sehe ich mir Filmchen an, Reels, wie sie dort heißen. Der Algorithmus spielt mir zwei zu, die musikalisch mit „It’s beginning to look a lot like Christmas” unterlegt sind, Menschen tragen darin glücklich lächelnd bunte Geschenkkartons durch ein malerisches New York, es schneit. Ich lege das Smartphone wieder weg. Draußen ist noch bestes Oktoberwetter, wir sind im Herbst, nicht im Winter, also bitte. Ich gehe runter an die Alster und filme kurzentschlossen selbst ein Reel. Wie so ein Mensch, der alle Kreativitätsratgeber gelesen hat.
Ich gehe nach Hause, ich poste den Film, freundlich wird er beherzt. Ich sehe mir weitere Filmchen an, diesmal auf Tiktok, heute ist mein Bewegtbildtag. Ich habe da neulich bei irgendetwas auf das Herzchen getippt, bei dem ein Kürbis zu sehen war, seitdem bin ich in einem Dark-Academia-Autumn-Pumpkin-Edinburgh-Harry-Potter-Kitsch-Loch, und ich finde es schön da. Auch mal die Weltflucht zulassen! Dampfende Teetassen vor ledergebundenen Büchern aus den letzten Jahrhunderten, junge Menschen in Vintage-Klamotten mit fortgeschritten spießigen Pullundern, Regen an den Scheiben, Nebel über Wiesen vor Kirchenruinen. Dazu Chopin, immer wieder Chopin, außerdem Brownies und irgendwas mit viel Zimt, alles im flackernden Kerzenlicht– warum auch nicht. Es ist zu früh für den Dezember, aber in Richtung November kann man ja mal vorfühlen.
Ich bestelle mir einen Pullunder. Ruhig auch mal Marketingopfer sei, aber eben bewusst, aber eben immer Topchecker dabei bleiben. So geht das. Den letzten Pullunder, den ich hatte, erbte ich von meinem längst verstorbenen Großonkel Gustav, der damals noch den Zeppelin bei der Landung in Hamburg auf der Schulter getragen hat, also nicht alleine natürlich, wie bei Treffen immer wieder erzählt wurde. Oder war es beim Start. Ein dunkelroter Pullunder war das jedenfalls, Jahrzehnte ist es her. Ich hätte ihn auf einmal gerne wieder. Ich hätte beide gerne wieder, den Pullunder und den Großonkel.
Meine Mutter hat Essen für uns gemacht, ich hole es bei ihr ab. Es gibt Bohnen mit Speck. Niemand außer mir isst hier Bohnen mit Speck, aber sie hat für vier Personen gekocht. Ich esse Bohnen für vier, bin danach allerdings nicht mehr gesellschaftsfähig, ziehe mich zurück und gucke nur noch Filmchen. Es regnet in Edinburgh und alle Menschen sind sehr schön und geheimnisvoll, dazu wabert ein Soundtrack über der Stadt, das man weiß, es passiert gleich Wunderbares. Ach, wäre ich doch in Edinburgh. Ach, läge doch ein Kürbis auf meinem Schreibtisch. Seufze ich genüsslich vor mich hin.
Ich lese später die Dörte Hansen durch, Zur See, ich finde es gut. Ich lese Wolfgang Kohlhaase weiter, Erfindung einer Sprache, ich finde es auch gut.
Ein seltsamer Tag ist das, mit einer verdächtig wohligen Grundstimmung. Da muss man misstrauisch werden, vielleicht werde ich krank oder so. Aber dieser Tag geht auch vorbei, singe ich leise, denn der Mensch braucht ein Mantra. In der Küche liegen noch die letzten Kürbisse aus dem Garten, sehe ich beim Zubereiten des Abendkaffees. Die morgen mal eben versuppen, und dann die Suppentassen so neben einer halb heruntergebrannten Kerze arrangieren, die olle Shakespeare-Gesamtausgabe dezent ins Bild ragen lassen, Chopin abspielen …
Also meinetwegen kann es November werden, es ist in Ordnung.
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Sie können hier Geld in den allerdings nur virtuell vorhandenen Hut werfen, herzlichen Dank! Sollten Sie den konventionellen Weg bevorzugen und lieber klassisch etwas überweisen wollen, das geht auch, die Daten dazu finden Sie hier. Wer mehr für Dinge ist, es gibt auch einen Wunschzettel. Merci!
Beim Toast bzw. Sandwich gibt es inzwischen auch fast so voele Sorten wie Kaffee im Starbucks.
das heutige und das gestrige gelesen
und sehr schön gefunden!
und ganz oft geschmunzelt
dankeschön dafür!
Ich musste mal an der Fleischertheke im Supermarkt “ vier scharfe Jungs“ bestellen, dabei wollte ich nur Mettwürstchen. Das war auch nicht schön.
Mann mann mann!
Herr Buddenbohm, bitte! Sie dürfen nicht immer so lustig schreiben, auch wenn das Lesen Ihrer Texte einer der wenigen Lichtblicke am Tag ist.
Heute haben wir Glück gehabt, aber wenn ich in der U-Bahn sitze (da lese ich nämlich Ihre Blogbeiträge für gewöhnlich), dann schauen alle Menschen um mich herum von ganz irritiert über böse bis neidisch.
Aber nicht lachen geht einfach nicht. Oder haben Sie schon mal eine waschechte Räuberin gesehen, die sich das Lachen verkneift? Das widerspricht einfach dem Berufsethos.
Bohnen mit Speck bitte demnächst ankündigen, ich nehme auch was.
Mit dem Pullunder sind Sie in Zukunft gut in der aktuellen Mode aufgehoben. Man nennt es ‚preppy‘, nicht zu verwechseln mit ‚preppen‘ und ‚PrEPpen‘.
Wieder ganz was anderes.
Es gibt einen gezeichneten Edinburg-Film: „The Illusionist“ von Sylvain Chomet. Über die Geschichte muß man hinwegsehen, aber gezeichnet ist das sehr sehr hübsch.
Kürbis, Zimt, Chopin oder wie Bismarck sagte:
„Folgen Sie meinem Rate und meinem Beispiel, trinken Sie eine Flasche Champagner und essen Sie ein paar Dutzend Austern dazu, und ich bin überzeugt, daß Ihnen die Weltlage sofort in einem weit rosigeren Lichte erscheinen wird.“
(Ich hör jetzt auf, aber der musste einfach sein.)