Inflationsschnitt

Ich war beim Friseur, ich fragte nach Preiserhöhungen. Die seien gerade noch in Diskussion hieß es. Man überlege außerdem, etwas Beleuchtung abzuschalten, denn ob man all diese Lichter hinter den Spiegeln wirklich brauche … und man könne vielleicht auch die Handtücher ohne Maschinen trocknen, einfach auf Wäscheständern. Nachts. Wie früher, da ging das ja auch. So stehen vermutlich gerade überall Menschen vor Geräten und Lichtern und überlegen und prüfen und rechnen. In Disney-Filmen hätten die Geräte grimassierende Gesichter, weit aufgerissene Augen, ein deutliches Beben und Bibbern im Blech- und Plastikkörper, und sie würden ängstlich hoffen, doch bitte in Betrieb bleiben zu dürfen. Aber nichts da, es ist Zeit für den Winterschlaf und dann Nahaufnahme, die Hand am Stecker, die pure Vernunft.

Ich ging mit einem Inflationsschnitt nach Hause, noch rechtzeitig vor den neuen Preisen, und vom Look eher näher an Brecht als an Precht. 

In den Aldi-Märkten im Norden werden die Öffnungszeiten verkürzt, sie schließen dann den Winter über schon um acht Uhr abends. Es scheint niemanden zu geben, den das stört, jedenfalls nicht in meinem Umfeld. Im Gegenteil, es können ruhig alle Geschäfte so schließen, wer braucht denn die Läden nach acht Uhr? Die sind doch eh alle gähnend leer um diese Uhrzeit? Eine Nachricht ohne jedes Aufregungspotential, das gibt es ja heute kaum noch. Das jetzt in jedem Smalltalk mal anbringen, die Übereinstimmung genießen.

Es gibt ein Geräusch weniger in meinem Alltag, unten auf dem Spielplatz wird am späten Nachmittag kein Tischtennis mehr gespielt, kein Ping mehr, kein Pong in der Dämmerung. Die Platte ist jetzt durchgehend mit gefallenem Laub bedeckt, man müsste erst etwas fegen, bevor man dort spielen kann, das macht niemand. Das Laub liegt dicht an dicht auf der Platte und sieht aus wie eine Tischdecke. Etwas spießiges Design allerdings, Herbstlaub in Braun und Beige und Blassorange, Linden- und Eichenblätter, naja. So etwas hängen Großmütter über Gartentische, und wenn es vererbt wird, dann wird es kurz darauf auch schon dezent entsorgt, bei aller Pietät.

Ich telefoniere, es geht um einen Weihnachtstext, es ist wieder so weit. Ich gehe noch einmal los, Mandarinen und Lebkuchen kaufen, ich muss mich einstimmen. Im Wetterbericht steht währenddessen noch etwas von zwanzig Grad, wie geht das zusammen. Soll man sich über die Wärme freuen wegen der Heizkosten, soll man sich fürchten wegen des Klimawandels, soll man sich ärgern wegen der jahreszeitlichen Stimmungsverfehlung, soll man nachsehen, ob es in der Ukraine auch noch warm ist, die haben immerhin noch viel weniger Strom als wir. Was ist richtig, wer blickt da durch. Alles erst einmal aufschreiben. Was sonst. Die Temperaturen bleiben bis in den November hinein deutlich zweistellig, es sei immerhin festgehalten. Und die Amsel singt am Morgen weiter so zartschmelzend, dass man eine schwere Saisonverwirrung diagnostizieren möchte. Zumindest beim Vogel, wenn nicht bei uns allen.

Veronika, der Herbst ist da.

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Ein Kommentar

  1. Einfach wieder einmal ein herzliches Dankeschön da lassen.
    Wohltuend unaufgeregt ist es hier, sinnlich dazu und obendrein authentisch.

    Weitermachen, bitte.

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