Ich hatte neulich beobachtet, dass die Innenstadt von Hamburg zwar voll war, die Menschen dort aber auffällig wenig Tüten und Taschen mit sich herumtrugen, ich berichtete auch. Der Einzelhandelsverband hat sich jetzt beschwert, las ich in den Nachrichten, das Geschäft laufe in dieser Saison insgesamt viel zu zögerlich an. Sie hoffen noch auf die weitere Adventszeit, das stand da auch, auf den späten Kaufrausch. Ich war am letzten Sonnabend noch einmal in der Stadt, zu Kontrollzwecken sozusagen, und ich würde da nicht zu sehr hoffen. Sage ich als Orakel aus dem kleinen Bahnhofsviertel gleich hinter den großen Fußgängerzonen, in denen die Menschen sich zwar drängen wie vor jedem Weihnachtsfest, aber doch das Geld lieber nicht ausgeben, von dem sie in diesem Jahr so seltsam wenig haben, oder um das sie Angst haben wie lange nicht.
Was gab es in der Innenstadt noch zu sehen? Eine Touristin aus Asien, die ein großes Lebkuchenherz kaufte, Zucker-Aufschrift: „Ich liebe dich“. Eines von den sehr großen Herzen war das, eines von denen, die sicher nicht so oft verkauft werden. Und sie hat sich dann so dermaßen auffällig gefreut, über das eben erstandene Riesenherz, sie hielt es in den Händen wie eine erlesene Kostbarkeit, sie leuchtete geradezu auf, so glücklich sah sie damit aus – vielleicht war es ein langer Traum oder sogar ein Punkt von ihrer Bucket-List, so etwas endlich zu haben, so ein überdimensioniertes Lebkuchenherz von einem deutschen Weihnachtsmarkt. Dermaßen gefreut hat sie sich, wie ein Kind hüpfend und strahlend, dass der ganz außerordentlich schlecht gelaunte Verkäufer, der es sichtlich für eine Zumutung hielt, mit der Kundin englische Brocken tauschen zu müssen, dann am Ende doch noch lächelte, als er sie so vor seinem Stand sah, wie sie das Herz mit beiden Händen hielt und es anstrahlte. So ein Lächeln wie in einem Kinderfilm war da in seinem Gesicht, wenn der allzeit finster blickende Erzbösewicht am Ende doch noch von irgendwas gerührt wird und es in der Schlussszene endlich so sehr menschelt, dass es fast schon engelt. Geigen dazu, einmal alles mit süß.
Drei Männer noch, die in einem Bollerwagen mehrere Kisten Bier durch die Straßen und die Weihnachtsmarktbesuchermengen zogen, wozu auch immer, vermutlich war es einfach nur Nachschub für einen Stand. Aber ringsum gleich etliche andere Männer, die mit dem Finger auf diese Truppe zeigten und dazu Männerwitze machten, höhö, die haben es gut, höhö, die dürfen aber was, höhö, ich geh da mal mit, Schatz, höhö, na dann Prost, höhö, endlich Freibier. Alles so klischeemäßig, so einfallslos, dumpf, platt und schlicht … manchmal möchte man schreiend aus der Stadt flüchten. Bloß keine Menschen mehr sehen, hören oder im Weg stehen haben. Bloß nichts mehr über Menschen schreiben.
Aber man ist ja auch Mensch, am Ende. Und wie peinlich ist das manchmal.
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Am Mittwochmorgen war ich früher als sonst im Büro in Hammerbrook. Es ist die dunkelste Zeit im Jahr und mir fiel auf, wie viel dunkler als in früheren Jahren es dort ist, also dunkler als vor Corona und allem. Weil etliche Büros nicht oder nur teilweise besetzt sind, weil einige Bäcker eine Stunde später öffnen, weil sich Imbisse nun später für das Mittagsgeschäft rüsten usw. Der frühe Wintermorgen im Bürostadtteil ist krimitauglich schlecht ausgeleuchtet in diesem Jahr, es fehlt nur noch ein gelblicher Farbfilter und zack, Tatort.
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Ich lese abends noch einmal „Rechts und links“ von Joseph Roth, das ist eines der Bücher, die mir bei meiner Regalumräumaktion in die Hände fielen, und es ist eines der Werke, die ich sicher nicht weggeben werde. Es ist keiner seiner großen Romane, er ist nicht so bekannt wie manche andere von ihm, aber wenn Sie sich etwas für die moralische Elastizität interessieren, mit der Menschen in radikalen und auch etwas gemäßigteren Bereichen politisch zu changieren belieben, es gibt da auch aktuelle Beispiele der bekannteren Art, etwa in Talkshows, dann ist dieses Buch ganz unbedingt etwas für Sie. Hochinteressant ist das dann.
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Der von mir in diesem Jahr meistgespielte Song auf Spotify kommt mir nicht sehr bekannt vor. Das wäre an sich schon eine nette und treffende ADHS-Anekdote, es könnte hier einfach aufhören, aber es wird noch besser: Der Song heißt tatsächlich „It never entered my mind.“ Wie isses nun bloß möglich!
„Er war oft abgelenkt und nicht bei der Sache“, es stand so schon in meinen Schulzeugnissen.
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Danke für die herzerwärmende Herzgeschichte. Ich lächle immer noch bei der Vorstellung an die überbordend glückliche Frau und den grumpy Verkäufer.
Ein wunderbarer Text, der zum Vorlesen einlädt und im Kopf den Film dazu ablaufen lässt.