Minus sieben Grad

Minus sieben Grad am Mittwochmorgen, es ist schnatterkalt. Alles aber, wie bereits beschrieben, findet hier abseits der weihnachtlich geschmückten Schaufenster ohne jede winterliche Deko statt, nur das Grau da draußen vereist. In den sozialen Medien überall die Schneebilder, es liegen Bächlein und Seen unterm Eise, weiße Bilderbuchwelten überall. Aber wir hier, wir haben ja nichts. Wir haben nur diese Art von Kälte, bei der den Leuten ihr Aussehen egal wird, es fällt auf den Straßen und Wegen auf. Die morgendliche Frage vor dem Kleiderschrank, was man denn heute wohl tragen möchte, sie wird jetzt gerne mit „Alles!“ beantwortet, und das sieht man auch. Einmummeln, ein ausgesprochen schönes Wort ist das. Kommst Du noch mit rauf, wir mummeln uns ein.

Apropos schönes Wort, im Felix Krull kam es im Hotel zum wiederholten Sex, was Thomas Mann mit „Wir einten uns erneut“ beschreibt, auch interessant. Das mal bei Gelegenheit als Frage umformulieren und privat anwenden: „Einen wir erneut?“ So kommt man durch die Literatur auch zu kleinen Zielen, denn die Bücher, sie wirken eben auf uns.

Die Minuten, bis der erste Kaffee am Morgen fertig ist, sie ziehen sich. Hüpfen und Klappern in der kalten Küche. Unwillige Familienmitglieder wecken, verschiedene Heißgetränke zureichen, Heizungen andrehen, Socken darauf fürsorglich anwärmen. Schulbrote schmieren, Dominosteine dazu legen, „weil das Leben ist doch hart genug“, wie wir damals gesungen haben. Die letzten Tage ziehen sich bei allen, ob in den Büros oder in den Schulen. Nächste Woche noch die letzten Klassenarbeiten. Man hat es als Kind schon gehasst, man findet es als Elternteil kaum lustiger.

Einen Sohn wecke ich versehentlich zwei Stunden zu früh . Es liest sich so lapidar, die shakespearesche Dramatik muss man sich bitte dazu denken. Irgendwas mit nächtlichen Erscheinungen, Entzweiung vom Vater und dessen Flucht in die eisige Kälte.

Im Büro bei manchen die langsam aufkommende Unsicherheit, ob man jetzt schon frohe Weihnachten wünschen soll oder nicht. Sieht man sich noch einmal, spricht man sich noch einmal, ab wann bist du eigentlich weg. Am Ende wünscht man sich das Jahreszeitliche doch wieder zehnmal, wie immer. Dir auch, dir auch, dir auch, ja, dir auch. Allgemeines Abbröckeln in die Urlaube, in die Feiertagsruhe. Abwesenheitsnotizen verweisen schon auf 2023. Ab sofort zu sämtlichen Anforderungen „Aber nicht mehr in diesem Jahr!“ sagen. Als ob es einem viel Raum verschaffen würde. Zeitillusionen hat man, wenn nicht schon Wahnvorstellungen.

Wenn man sich dick eingemummelt hat, wenn man Zeit hat und wenn sogar die Heizung funktioniert, wenn das Heißgetränk noch dampft und ausreichend Herzensternebrezeln noch im klug versteckten Vorrat liegen, dann hat man es kommodig, so sagt man es im Plattdeutschen.

Auch das ein sehr schönes Wort: Nächste Woche wollen wir es aber mal kommodig haben. Ja, mach nur einen Plan.

***

Sie können hier Geld in den allerdings nur virtuell vorhandenen Hut werfen, herzlichen Dank! Sollten Sie den konventionellen Weg bevorzugen und lieber klassisch etwas überweisen wollen, das geht auch, die Daten dazu finden Sie hier. Wer mehr für Dinge ist, es gibt auch einen Wunschzettel. Merci!

2 Kommentare

Schreib einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert