Deko, Krempel und Kulissen

Ich gehöre zu den Menschen, die wenig Verständnis dafür haben, dass nach dem 1. Januar immer noch das Bühnenbild nicht gewechselt wird. Dass immer noch Weihnachtsflitter in den Schaufenstern hängt, dass weiterhin Leuchtsterne über den Straßen baumeln und Silvesteraccessoires in den Regalen liegen, dass Tannenbäume überall noch bunt geschmückt herumstehen– ich möchte das nicht, ich bin da ungeduldig. Die Deko, der Krempel und die alten Kulissen, die sollen jetzt weg. Ich brauche etwas Neues, die Feste sind durch und vorbei und der Nachhall nervt. Das aber sehen dummerweise viele anders und schon hat man wieder einen Konflikt mit der Mehrheitsgesellschaft. Immerhin einen, den man gut aushalten kann. Mit etwas Schmollen vielleicht, aber auch das kann dezent ausfallen, ich habe mich so weit im Griff.

Und selbst unser eigener Weihnachtsbaum steht noch, wir haben es gestern wegen zeitlich versetzter Neujahrsspaziergänge nicht geschafft, ihn rechtzeitig abzutakeln und vom Balkon zu werfen, das steht erst für heute auf dem Plan. Ja, mach nur einen Plan.

Die Söhne haben in dieser Woche noch Ferien, die Herzdame und ich nicht, wir fangen heute an. Mit allem. Es liegt nach dieser letzten Ferienwoche dann eine Normalitätsstrecke vor uns, ohne Feiertage, ohne saisonalen Besonderheiten und Tollerei, und zwar reicht die in Hamburg, das wird bei Ihnen anders sein, bis März, also bis hin zu den dämlichen Ski-Ferien, die für alle, die keinen Wintersport treiben, etwa für uns, in einigermaßen sinnloser Jahreszeit herumliegen. Das sind, Moment, acht Wochen Regulärbetrieb, wenn die Weltgeschichte nicht wieder mit originellen Einfällen daherkommt, was wir schwer hoffen wollen. Okay. Das mal durchziehen, das mal abarbeiten.

Mein Neujahrsspaziergang beginnt im Hauptbahnhof, wo es wegen der Rückreisen überaus voll ist. Zerknickte Menschen nach den nächtlichen Feiern, unausgeschlafen, verstrubbelt, verbraucht, blass und angegriffen, ratlos vor den digitalen Tafeln, die Augen zusammenkneifend, um da oben alles lesen zu können, welcher Zug wann wohin. Guck mal, die Verspätungen. Bei einem Bäcker sitzt eine Frau noch im Abendkleid, freie Schultern, ein ungewohnter Anblick im Winter, versonnen in ihren großen Pott Kaffee lächelnd. Da kann man vielleicht annehmen, dass die Nacht in Ordnung war.

Draußen und in Richtung Elbe dann die Spazierfraktion, ein Gedränge hafenwärts wie bei Goethes Osterspaziergang: Aus dem hohlen, finstern Tor dringt ein buntes Gewimmel hervor. Weit offene Jacken, ausgezogene Pullover auch, abgenommene Mützen und Schals, es ist alles zu warm, viel zu warm. Der Himmel ist blau, die Luft ist lind, allzu lind. So einen Neujahrstag gab es noch nicht, soweit man sich erinnern kann, was hat das mit Winter zu tun. Man sitzt auf Bänken am Fluss, sieht elbabwärts und sonnt sich. So fängt es an, das Jahr.

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Ich bringe der Herzdame am Montagmorgen Tee ans Bett, sie fragt müde: „Warum ist Montag?“

Aber das fragt man sich meist nur kurz, und dann macht man einfach irgendwas. Wie immer.

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2 Kommentare

  1. Die Perspektiven sind unterschiedlich. Da gibt es das Nord-Süd-Gefälle und das zwischen religiös-christlich und säkular. Wenn die Tannenbäume schon Anfang Dezember rumstehen, dann kann man sie kurz nach dem 25. Dezember über haben. Andere haben ihre Bäume gern so lange für sie die Weihnachtszeit dauert, nämlich bis zum 6. Januar. In Bayern holt die Müllabfuhr sie nicht früher ab. Früher dauerte die Weihnachtszeit bis 2. Februar und so lange standen dann auch die geschmückten Bäume in privaten und öffentlichen Räumen.

  2. In Berlin ist der früheste Baumabholtermin der 7. Januar, und dann auch nicht gleich überall. Das hat aber vermutlich weniger religiöse Gründe denn hier liegen die ersten Bäume am 25.12. draußen. Ich vermute vielmehr, dass erstmal alle Kräfte für die Straßenreinigung nach Silvester benötigt werden.
    So einen geschmückten Baum noch Anfang Februar erlebte ich vor einigen Jahren in Polen (wo auch der städtische Weihnachtsschmuck so lang noch hing). Da er mit Wurzelballen im Topf stand, trieb er schon wiederaus und hatte so ganz besonderen Schmuck.

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