Wie sinnig alles eingerichtet ist

Mittwoch. Auch mal wieder ins echte Office, wie früher. Von meinem Bürofenster in Hammerbrook aus sehe ich auf eine hohe, graue Wand. Ein fensterloses Gebäude, ein Lagerhaus ist das, sechs- oder siebenstöckig. Waren aus Südosteuropa sind darin, Weine aus Kroatien und dergleichen, unten fahren die Laster zum Be- und Entladen vor. Vor dem Gebäude noch als Querstreifen im Bild und in einem etwas anderen, etwas dunkleren Grau, der Beton-Viadukt der S-Bahn nach Harburg. Ein ausgesprochen großstädtischer Ausblick ist das, nur nicht von der netten Art. In einer Erzählung hätte ich diese graue Wand vielleicht erfunden, um die momentane Gefängnisempfindung im Alltag zu unterstreichen. Sie ist aber einfach so da. Wie auch die S-Bahnen, die alle paar Minuten vorbeifahren, signalrote Wagen, die mir immer wieder eine Möglichkeit der flotten Bewegung vorführen, an der ich aber nicht teilnehme. Wie sinnig das alles eingerichtet ist, wie erfunden das wirkt.

In den Nachrichten Warnungen vor Eisregen am Donnerstag, da dann mal lieber nicht rausgehen. Als ob man sonst wahnsinnig unternehmungslustig wäre. Nach dem Eisregen soll es wenigstens wärmer werden, immer das Positive in allem sehen. Nächste Woche sogar irgendwas mit sieben Grad, da auch mal wieder die Jacke aufmachen und etwas vom Aufwärtstrend reden. Wir sind dann schon einen Monat weiter, es geht doch.

Ich treffe am Nachmittag eine Freundin, wir gehen in einen Coffee-Shop. Einer der anderen Gäste steht zwischendurch plötzlich auf, kommt zu uns und fasst den Kaffeebaum an, bzw. das Kaffeebaumimitat, das neben unserem Tisch steht: „Entschuldigung, ich musste mal eben fühlen, ob der echt ist. Ich bin in der Stadt aufgewachsen, ich erkenne so etwas nicht. Dafür muss man vom Land kommen.“ Er klopft auf das Holz, bzw. eben nicht, auf den Kunststoffstamm. Noch so ein Drehbuchmoment. Das eindeutig hohle Geräusch, aber er guckt weiter fragend, er traut dem Klang nicht. Wie klingt echtes Holz? An dem Baum hängen rote Plastikkaffeebohnen.

Vor dem Fenster gehen frierende Menschen vorbei, es ist ein Wintertag, an dem sich niemand recht gegen die Kälte wehren kann. Die ganze Stadt wirkt verfroren, zusammengezogen, eingekrümmt und die Menschen, die in den Coffee-Shop kommen, atmen stöhnend auf, es ist so herrlich warm hier drin.

Meine Freundin und ich reden über die Corona-Jahre und darüber, wie unwirklich und fern vieles aus dieser Zeit jetzt schon wirkt. Wir zählen uns Szenen und Maßnahmen aus dem ersten Jahr auf, es klingt alles schon nach Geschichtsbuch oder nach Doku im Nachtprogramm. Weißt du noch? Als die Läden alle geschlossen waren, als die Restaurants Essen nur noch durchs Fenster rausgereicht haben, als man nicht mehr im Park sitzen durfte, als auch der Spielplatz mit rotweißem Flatterband abgesperrt war, als es all diese Regeln für die Besuche anderer Haushalte gab, als man sich Impfmöglichkeiten unter der Hand weitergegeben hat, als es kein Mehl mehr gab und keine Nudeln, als wir alle an der Home-School irre geworden sind und es dann leider blieben, wie viele Jahre ist das her und war das alles wirklich so, kann es eigentlich sein.

Am 1. Februar fällt hier die Maskenpflicht in Bussen und Bahnen weg, dann wird man – zumindest vorerst – von der Pandemie nur noch wenig sehen. Auch die Teststation vor dem Hauptbahnhof haben sie jetzt abgebaut, das war die letzte, die ich noch jeden Tag wahrgenommen habe. Teststationscontainer. Ein paar davon könnte man jetzt schon zur Seite stellen, als Filmkulisse für spätere Produktionen, die es zweifellos geben wird, die vermutlich jetzt schon in Arbeit sind.

Die Filme werden alle seltsam übertrieben wirken, glaube ich.

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2 Kommentare

  1. Welch unfassbar schönes Kopfkino. Gucke aus dem Fenster auf eine graue Wand. Frage mich, wie wohl kroatischer Wein mundet. Husche über die Straße, den Kopf zwischen die Schultern geklemmt. Sitze am Kaffeehaustisch nebenan, lausche beim Sippen an meinem Tee dem freundlich-spöttischen Geplauder zweier Freunde am Nachbartisch und kann mir ein amüsiertes Lächeln ob des Naturfreunds nicht erwehren. Ach, ich muss schon wieder weiter. Wo war ich? Zurück in der Realität in meinem Büro ankommen. In Stuttgart. Also ganz wo anders. (Und fühle mich erst jetzt, da ich dies hier als Kommentar schreibe wie ein aufdringlicher Eindringling. So bleibt mir die Illusion.) Mittendrin statt nur dabei. Famos!

  2. …ich mußte kurz stutzen, als ich das mit dem coffee-shop las.
    sind die in hamburg etwa schon soweit? war mein erster gedanke.
    hier in der eifel, nahe der holländischen grenze, hat coffee-shop eine
    gänzlich andere bedeutung, als bei euch im norden 😉
    have a nice day!
    aljoscha
    .

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