Ein Anzug für Frühaufsteher

Da ich immer noch damit beschäftigt bin, die Kleidungsstücke zu ersetzen, die meine Coronasparjahre nicht in akzeptablem Zustand überlebt haben (ich habe einen Zweijahresplan für die Ersatzmaßnahmen, denn ich liebe Pläne, besonders solche, an die ich mich nicht halten muss), habe ich mich hier und da in Onlineshops umgesehen. Ich bin nun wegen der bekannten Dramen mit der Paketlieferung ausdrücklich kein Freund des Onlineshoppings, da das Offlineshopping aber andererseits auch immer schwieriger wird, ist es mittlerweile kaum noch zu umgehen, ob es mir nun passt oder nicht. Kurz zur näheren Erläuterung eine Szene vom letzten Hosenkauf, den ich neulich noch in einem regulären Kaufhaus getätigt habe, wovon es bekanntlich nicht mehr viele gibt. Ich fand erfolgreich eine passende Hose, ich suchte weitere Exemplare der gleichen Marke und Linie in anderen Farben, denn wenn mir eine Hose schon einmal passt, schlage ich gleich mehrfach zu, um mir weiteres Suchen und Anprobieren möglichst jahrelang zu ersparen. Theoretisch. Praktisch bat ich nach einer Weile einen Verkäufer um Hilfe, weil ich meine Größe nicht sofort fand, und der eilte beflissen fort, um mir kurz darauf eine Hose in einer anderen Größe zu bringen. Ich sagte ihm, dass die mir nicht passen würde, sie war länger als meine Beine und ich habe das Größenwachstum bereits eingestellt. Er nickte, ging und holte mir eine weitere, in wiederum einer anderen Größe, unser Dialog wiederholte sich. Es spielte sich alles genauso noch zweimal ab, ich übertreibe nicht. Ich bestand dann darauf, dass ich diese Hose, wobei ich mit dem passenden Exemplar nachdrücklich herumwedelte, in gleicher Größe und blauer Farbe haben wollte, er brachte eine in erneut anderer Größe und in Rot. Ich brach das Manöver dann ab, es hatte einfach keinen Sinn.

Das war das vermutlich erste Mal im Leben, dass ich gedacht habe: „Okay, ein Gespräch mit einem Chatbot wäre jetzt deutlich zielführender und auch zeitsparend gewesen.“ Und so etwas denke ich nicht einmal gerne.

Andere Läden gibt es bereits nicht mehr, der Kaufhof und C&A etwa sind weg, wobei C&A irgendwann wiederkommt, an anderer Stelle. Esprit ist nicht mehr da usw., der Leerstand ist unübersehbar. Einige haben die Auswahl in den Geschäften generell reduziert. Es hängen also weniger Größen pro Kleidungsstück herum, vermutlich weil eh alle längst online kaufen und man lieber mehr von der gesamten und stets riesigen Kollektion in nur zwei, drei Durchschnittsgrößen präsentiert, es ist dadurch ein sich selbst beschleunigender Prozess hin zum Onlineshop. Da man also auch vor Ort immer schlechter einkaufen kann, klicke ich wie alle im Netz herum, was dazu führt, und da sind wir schon wieder beim Tracking, dass mir auf Instagram nur noch Werbung für Herrenmode gezeigt wird. Das ist mir angenehm, endlich sehe ich keine Reklame für Autos und Kreuzfahrten mehr, die mich kategorisch nicht interessieren, die mich sogar eher abstoßen. Ich klicke eifrig auf die Werbung, was ich sonst nie mache, nur damit es noch mehr davon gibt.

Werbung als Werbungsvermeidung also, es ist alles etwas verworren, aber es funktioniert einwandfrei. Es werden mir dreiteilige Anzüge präsentiert, denn ich treibe die Algorithmen hin zu strikt konventioneller Mode, die meinem Innersten entspricht (Das also ist des Buddenbohms Kern, ich höre immer noch den Faust), zumindest vom Geschmack her, wenn schon nicht von der seelischen Disposition. Ich sehe formelle Anzüge, die, so lese ich in der Beschreibung, „durchtanzte Nächte und stundenlange Meetings“ mitmachen. So also spricht man heute die vermeintlich harten Kerle an, denke ich mir.

Für mich ist das selbstverständlich nichts. Mir wird schon bei der Vorstellung einer durchtanzten Nacht ganz anders, aus dem Alter bin ich längst raus, wenn ich überhaupt jemals drin war, ich kann mich gerade nicht erinnern. Ich wäre vermutlich dezent unleidlich nach so einer Nacht, von den gravierenden körperlichen Folgen zu schweigen, ich würde meinen Kreislauf tagelang suchen müssen. Und stundenlange Meetings – Gott bewahre, wer strebt denn so etwas noch an oder hält es im Ernst für eine markante Leistung? Ich dachte, das hätten wir hinter uns.

Nein, was ich brauche, das sind eher förmliche und doch lässige Anzüge für Frühaufsteher und Meetingvermeider. Vielleicht kann ich die Algorithmen mit ein paar liebevollen Klicks noch in die passende Richtung treiben.

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Im Bild ein Beruhigungspuzzle. Also Sohn II und die Herzdame finden das entspannend, ich nicht.

Eine Hand über einem 1000er Puzzle, das nureinen Farbverlauf darstellt, kein gegenständliches Motiv.

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5 Kommentare

  1. Witzigerweise war es der Umzug in die Provinz, aufs Land, der mich wieder mit Erfolg offline Kleidung kaufen ließ. Nachdem ich mich überwinden konnte, den Holtex in Eutin zu betreten (vielleicht kennt du den noch aus Lübeck?), war ich auf absurde Weise angetan. Nicht nur die Warenpräsentation, die an C&A in den 70ern erinnert, an die wir beide uns ja noch vage erinnern dürften. Sondern auch Verkäufer*innen in unserem Alter oder älter, die sofort und diskret die richtige Größe anschleppen, ohne auf der höheren Zahl rumzureiten, die bald in etwa meinem Alter entspricht. Ein Genuss. Und erstaunlicherweise erschreckend modisches Sortiment. Und sogar Männernachthemden. Wo findet man das sonst.

  2. Hier in der Kleinstadt gibt es noch ein Modehaus mit Fachverkäufern in jeder Abteilung. Ich habe nachgesehen, es gibt eine online Filiale und eine Festnetztelefonnummer für modische Beratung. Fragen Sie nach dem etwas älteren, schlanken Verkäufer mit der Weste, der hat’s echt drauf.
    http://www.modehaus-heinze.de

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