Ich kann die Nacht in der Laube selbstverständlich auch zum Anlass nehmen, noch dankbarer für unsere Wohnung zu sein, für das Dach über dem Kopf dort, für die zuverlässige Heizung, für fließend warmes Wasser, für einen Föhn und einen vollen Kühlschrank und einen Herd, auch für den Bäcker um die Ecke, es ist immerhin alles nicht selbstverständlich und direkt vor unserer Tür übernachten schon die Menschen, denen es anders geht, schlechter geht, so viel schlechter. Das mit der Tür ist kein Sprachbild, das ist tatsächlich so, da liegen die Menschen, die das alles nicht haben und jeden Tag bei immer noch gnadenlosen Außentemperaturen aufwachen und sich erst einmal aus einem durchnässten Schlafsack pellen.
Muss man auch sehen, schon klar. Uns geht’s ja noch gold, mit Kempowski durch das Jahr.
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Ich lese Keyserling, Abendliche Häuser, ein Roman, in dem die weibliche Hauptperson den seltsamen Namen Fastrade trägt, altfränkischer Herkunft ist der wohl. Ein seltsamer Klang, Fastrade. Es gab eine historisch bekannte Fastrade, die kann man googeln, sie war verwandt mit einer Theodrade, das mutet fast noch seltsamer an. Wie spricht man solche Namen liebend aus?
Die abendlichen Häuser haben einen Wikipedia-Eintrag, in dem eine Angehörige der älteren Generation zitiert wird: „Wir haben nichts anderes zu tun, als zu sitzen und zu warten, bis eines nach dem anderen abbröckelt.“ Falls Sie Keyserling nie gelesen haben, was einerseits ein Fehler wäre, andererseits aber vollkommen verständlich, denn man kann ja nicht alles lesen, es geht in seinem Werk ausschließlich um dieses Abbröckeln, er stellt es großmeisterlich dar und je älter man selbst wird, desto mehr versteht man, was da eigentlich passiert. Keyserling ist einer von denen, die man, aber das ist nur meine unverbindliche Meinung, wiederholt lesen kann, mit immer mehr Gewinn, denn wir verlieren alle das Land unserer Kindheit, unserer Vorfahren, unserer Kultur, in jeder Generation verlieren wir es, immer wieder.
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Im Garten der Gegenwart blühen das einjährige Silberblatt, die Schlehe, das Vergissmeinnicht (in den Farben der Ukraine), die griechischen Blaukissen, das Immergrün, die purpurroten Taubnesseln, die in diesem Jahr die ganze Insel dominieren möchten, der Löwenzahn, die Gänseblümchen, der Schatten-Steinbrech, den ich gerade erst nachsehen musste, der Beinwell, die Blutjohannisbeere, die Bergenien, der Moos-Phlox, der Flieder, die Akelei, die Äpfel, die Birnen, die Kirschen. Falls Sie das mit Blüten bei sich vergleichen, unser Garten ist kälter als andere, ist eine deutlich runtergeregelte Windeinfallschneise, wir liegen also im Frühjahr und Sommer immer etwas zurück, sogar hinter den besser geschützten Nachbargärten ein paar Meter weiter, es ist faszinierend. Und meist nicht gerade erfreulich, außer bei 40 Grad.
Kartoffeln gepflanzt, ich bin spät dran in diesem Jahr.
Es flatterte am Feiertagsmaimorgen der erste Aurorafalter vorbei, und direkt vor dem Laubenfenster saß die Elster auf einem Brett, ganz lange saß sie da, und was für ein außerordentlich schöner Vogel das ist, wie elegant angezogen, wie geschmackvoll proportioniert, man müsste Vögel viel öfter in Ruhe so ansehen können. Das Rotkehlchen dagegen, das nach der Elster diesen Posten übernahm, sah zum Fenster herein zu mir und wirkte, weil es um den Schnabel herum immer so aussieht, als hätte es betont herabgezogene Mundwinkel, Schnabelwinkel, als wenn es die ganze Zeit angewidert gedacht hätte: „Igitt, ein Mensch. Wi-der-lich.“ Und das würde man auch verstehen können, so ist es nicht.
Von den Sträuchern, die wir gepflanzt haben, sind die Blutjohannisbeeren übrigens die, welche am schnellsten und üppigsten zugelegt haben. Wenn Sie also zügig etwas zuwachsen lassen wollen, nehmen Sie die, sie sehen immerhin auch noch gut aus dabei. Für Insekten haben die Blüten nicht das allerreichste Buffet, aber doch deutlich mehr als nichts, also schon einmal mehr als Forsythien, wenn das ein Maßstab ist.
Die tote Maus, dies noch schnell als letztes Update, wurde schon von der Nachtschicht der Gartentiere komplett beseitigt. Genaueres erfährt man nicht, das kleine Volk ist verschwiegen.
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