Das Sommermorgenwochenendgefühl

20.5., ein Sonnabend. Der Efeu an der Spielplatzmauer hat neue Blätter ausgetrieben und über die alten geschoben, ich sehe es beim Brötchenholen. Frisches, leuchtendes Grün, hier sieht es auf einmal wie renoviert aus, alles so glänzend. Sich ab und zu einmal etwas Neues überwerfen, wie gut das tut, ich kenne das. Da wirkt man gleich wie eine andere Pflanze.

Frische Erdbeeren mit Quark zum Frühstück, für das bisschen Sommermorgenwochenendgefühl bei allerdings immer noch allzu bescheidenen Temperaturen. Die Herzdame und ich reden über die neu festgestellte Vorabendserienhaftigkeit ihres Heimatdorfes. Wie leicht man aus den Leuten und Lebensläufen dort ein in endlos viele Folgen zerteiltes Epos mit kauzigem Personal, heiteren Verwicklungen und tragischen Wendungen machen könnte, was solche Serien eben jahrelang zuverlässig füllt. Aber das fällt uns natürlich nur auf, weil wir aufmerksam wie Urlauber hingesehen haben. In Wahrheit hat so gut wie jede Stichprobe menschlichen Beisammenseins diese Vorabendserienhaftigkeit, man muss sie nur interessiert genug beobachten. Wenn ich etwa an das Haus denke, in dem ich wohne – mindestens ein Viertel der Bewohnerinnen und Bewohner ist mehr als seltsam, mich selbst natürlich eingeschlossen, lauter merkwürdige Typen, Etagen voller schräger Vögel, die wunderbare Welt des Buddenbohms. Jede Partei ein Original, genau wie alle anderen auch. Menschlich eben.

Ich höre „Zipper und sein Vater“ von Joseph Roth, gelesen von Harald Seeböck. Ich notiere mir die Formulierung, etwas sei „traurig wie ein aufgeräumtes Zimmer.“ Das mal merken, das irgendwann mal anwenden. Ach guck, schon erledigt.

Und immer noch denke ich darüber nach, was es ausmacht, dass die Artikel hier gerade so erscheinen, wie es im Moment der Fall ist. Alleine der Freitag gestern, sehe ich gerade, wurde im Blog zu drei Texten, und ein besonderer Tag war es wirklich nicht. Ob ich mir hier wohl gerade die Geschwindigkeit aus dem Alltag schreibe, und ob ich, wenn mir das am Ende gelingen sollte, sofort Lebensratgeber schreiben müsste. Nein, keine Sorge.

Dann wieder in den Garten gefahren. Ein Straßenschild auf dem Weg hat man nachts überklebt, der kleine Weg heißt jetzt „Fickteuchallee“, alles in einem Wort. Für Bindestriche wäre auch kein Platz mehr gewesen, es wurde alles etwas eng beschriftet.

In der Gartenkolonie winkt der Nachbar von seiner Parzelle herüber, als ich ankomme. Ob alles gut sei, will er wissen, was antwortet man da. Und was sind das überhaupt für Menschen, bei denen alles gut ist, passen die nicht auf oder was. Ich winke nur freundlich, denn der Nachbar ist ein netter Mensch, ich mag ihn. Immer lächeln und winken, stoisch durch die social awkwardness.

Ich pflanze noch schnell eine Gurke und einen Kürbis, welche die Herzdame aus dem Heimatdorf mitgebracht hat. Sie sehen wesentlich strammer und fitter aus als die Pflanzen, die schon im Beet sind, kerngesunde Nachzügler sind es. Noch. Die Pflanzen, die ich hier im Viertel noch kaufen könnte, sie sind auch alle schon in der Invaliden-Kategorie, die werden jetzt verramscht oder landen im Müll.

Der Himmel ist bedeckt und die vom Wetterbericht versprochene Erwärmung fällt bei uns aus oder verzögert sich deutlich, so wie die Züge im Regionalverkehr nach Sylt. Es ist etwas enttäuschend, wir hatten deutlich mehr erwartet, und der ewige Wind geht mir mit seiner Kälte heute dermaßen auf den Wecker. Auch die Vögel im Garten klingen an diesem Nachmittag etwas verhalten, sie sind vielleicht in der gleichen Stimmung wie ich, seltsam bedröppelt, nur zögerliches Piepsen aus dem Flieder.

Später trinke ich noch einen Kaffee mit der Herzdame, wir sitzen unter der Weide. Sie sagt: „Einfach nur im Bett mit einer Decke über dem Kopf, das wäre jetzt aber auch gut.“

Und damit sie hat wieder recht, aber das bin ich ja gewohnt.

Im Tagesbild heute ein Frosch. Warum auch nicht.

Wilde Kunst an einer Wand, ein Frosch mit dem Text: Küss mich

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