23.5., Dienstag erst, es ist erstaunlich, gefühlt bin ich schon komplett freitagsdurch und wochenfertig. Aber das war erwartbar.
Auf einem Plakat an der Haltestelle Hammerbrook sehe ich am Morgen Werbung für den Job als Lokführer, es wird in großer Schrift auch gleich das Gehalt angegeben: 4.000 Euro netto. Es steht noch mehr dabei, ich sehe aber nicht alles im Vorbeigehen. Ich habe keine Zeit für das Kleingedruckte, wer hat die schon auf dem Weg zur Arbeit. Vermutlich stimmt die Gehaltsangabe nur mit Schichtzuschlägen und mehreren Sonderbedingungen und sonst etwas. Egal. Es ist jedenfalls nicht so lange her, da wäre so eine öffentliche Verkündung von Gehältern noch seltsam gewesen, mittlerweile wird sie aber auch auf den bunten Zetteln, mit denen an Cafés, Kiosken, Schwimmbädern dringend etc. nach Personal gesucht wird, immer üblicher und die Zahlen werden dabei größer, sowohl im Wert als auch in der Darstellung. Ich habe damals in einer vollkommen anderen Welt mit diesem Berufsspiel begonnen.
Und die Lokführer werden nun nicht mehr so banal benannt, wie wir es früher gewohnt waren, sondern werbend „Loklöwen“, das macht gleich viel mehr her. Was macht denn ihr Sohn? Der ist jetzt Loklöwe. Das klingt ausbaufähig, da geht sicher noch mehr, vom Tunnelbautiger über den Paketpanther bis hin zum Pflegepferd. Wobei letzteres nicht beeindruckend genug klingt, merke ich gerade, da müsste man vielleicht nochmal ran.
Büro. Man arbeitet so vor sich hin.
Am Nachmittag wird beim Discounter jemand mit Gewalt rausgeworfen, während ich Toast und Dosentomaten und anderes Zeug in den Einkaufswagen lege. Kurze Szenen des energischen Zupackens und schnellen Abschiebens, der sonst so freundliche Security-Man kann auch anders. Jemand hat betrunken die Kundinnen belästigt, lallendes Schreien und Toben. Es ist nicht so selten, dass jemand aus diesem Laden fliegt, und Alkohol ist meistens an den Vorkommnissen beteiligt. Das liegt an der nahen und personalstarken Trinkszene am Hauptbahnhof, die wirkt sich bis weit ins Viertel und in meinen Alltag aus. Solche Szenen kommen hier also vermutlich öfter vor als etwa bei Ihnen, wenn Sie nicht gerade ähnlich in einer anderen Großstadt wohnen. Ich müsste es vielleicht öfter erwähnen, dass es vorkommt. Es könnte längst zu selbstverständlich für mich sein, ich sehe es teils nicht mehr.
Vor dem Geschäft stürzt eine Frau mit einem Scooter auf dem Gehweg, sie sammelt ihn wütend brabbelnd wieder auf und schiebt ihn dann in Schlangenlinien und laut schwadronierend weiter, schon die nächste Volltrunkene. Normal. Ich bin kein Abstinenzler, aber abschreckende Beispiele für den fortgeschrittenen Missbrauch von Alkohol gibt es hier überreichlich, jeden Tag und an jeder Ecke.
Die Herzdame ist währenddessen schon wieder auf Reisen, diesmal im schönen Dortmund, ich dagegen gebe das Heimchen am Herd. Ich koche Spaghetti Bolognese. Kinder, auch große Kinder, wollen Klassiker, zumindest beim Essen. Bei der Wahl der Lektüre ist die Lage dann deutlich anders.
Ich dagegen lasse mir beim Braten weiter Joseph Roth vorlesen, „Zipper und sein Vater“, die wehe Traurigkeit nach dem Ersten Weltkrieg wird gerade verständlich und nachvollziehbar dargestellt. Bis zur Traurigkeit nach dem Zweiten Weltkrieg hat der Herr Roth es dann bekanntlich nicht mehr geschafft.
***
Sie können hier Geld in den allerdings nur virtuell vorhandenen Hut werfen, herzlichen Dank! Sollten Sie den konventionellen Weg bevorzugen und lieber klassisch etwas überweisen wollen, das geht auch, die Daten dazu finden Sie hier. Wer mehr für Dinge ist, es gibt auch einen Wunschzettel.
Beim Wort ,,Paketpanther“ sah ich vor meinem inneren Augen den DHL-Boten elegant das Treppenhaus hinaufschnüren.
Viele würden sich einen ,,Paket-Gepard“ wünschen wegen dessen Schnelligkeit, ich aber würde eher auf einen Paketbüffel setzen.
Also ich bin Lokführer mit fast 30 Jahren Berufserfahrung und für mich sind 4000 Netto absolut utopisch. Also nicht mal annähernd. Aber man hört durchaus Geschichten von Kolleg*innen, die in regelmäßigen Abständen bei neuen Verleihfirmen anheuern. Scheint durchaus lukrativ zu sein.
In unserer WG haben wir einen Lokführer in Ausbildung in der letzten Phase – offiziell heißt das im Ausbildungsvertrag „Triebwagenführer für das europäische Schienennetz“ und beinhaltet auch noch das, was früher zwei extra Berufe waren, einer davon heißt „Rangierbegleiter“ und der andere fällt mir gerade nicht ein. So hoch wie hier genannt wird sein Gehalt nicht sein – obwohl Mitte 50 und vorwiegend nachts tätig, weil er für eine private Firma arbeiten wird, die Baumaßnahmen für die DB durchführt.
Ich nenne das, was ich während der Sommermonate im öffentlichen Raum mache, gerne mal Feierbiesterbiesterbändigen. Wobei man die jungen nicht bändigen muss. Man muss nur mit ihnen reden und zuhören. Vor allem letzteres.