Sonnabend, der 24.6. Der Tag beginnt mit den Ereignissen in Russland, der Prigoschin-Aufstand. Ich hänge selbstverständlich an den Newstickern, es ist eine Sucht. Nie habe ich es geschafft, solche Lagen zu ignorieren oder einfach etwas abzuwarten, vielleicht am Abend alles nachzulesen. Ich will das alles wissen, möglichst aus zig Quellen, und möglichst sofort, jetzt. Ich weiß, dass es mir nichts bringt, dass es überhaupt nichts nützt und auch nichts ändert, aber das hilft dem Drang nicht ab. News-Junkies sind schwer von ihrem Stoff abzubringen, das Zeug ist auch allzu leicht zugänglich für uns. Das Internet ist da keine Hilfe, ist eher die Legalisierung eines starken Suchtmittels.
Egal, es gibt schlimmere Abhängigkeiten, so viel steht auch fest. Und ich war auch schon vor dem Internet drauf, das Medium ist in diesem Fall unschuldig. Ich gehöre zu den Leuten, die damals pausenlos den Bildschirmtext im Fernseher aktualisiert haben, ob nicht vielleicht eine neue Meldung, etwas Eiliges, Wichtiges … das kann man heute auch keinem mehr erzählen, liebe Kinder, ich weiß.
Wobei ich bei den Tweets und anderen Meldungen aus den Kreisen der Presse und der Fachwelt aus Stiftungen, Universitäten, Think-Tanks etc. die schier endlose Wiederholung von Popcorn-Witzen in Bezug auf Russland abstoßend finde. Die fortschreitende Infantilisierung der Weltgeschichte, alles nur noch Sketch-Szenen mit Lachern vom Band, jeder Clip und Scherz bemüht bunter und zynischer als der andere. Muss das so?
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Im Garten bieten sich währenddessen Erdbeeren, Himbeeren, Stachelbeeren, Taybeeren und Kirschen in leuchtenden Farben lockend zum Verzehr an, wobei die Taybeeren geschmacklich nicht recht überzeugen. Sie wirken seltsam unentschlossen in der Richtung, wonach genau soll das schmecken. Aber sie bekommen doch noch eine freundliche Vier von mir, was soll die Strenge. Auch mal was durchgehen lassen! Die Himbeeren dagegen – der Hammer. Und einige winzige Erdbeeren, tiefrot sind sie, sie schmecken wie saftiges Sommerkonzentrat. Kleinfinkerkuppengroß nur, aber so süß kann der Juni sein.
Zwei lange Gurken gibt es auch schon, es sind die ersten der Saison, und wie immer schmecken sie viel gurkiger als die Exemplare aus dem Discounter. Die Birnen schwellen jetzt schneller, die Äpfel auch, die Pflaumen aber fallen in diesem Sommer komplett aus. Die Johannisbeeren schwächeln erheblich, die Heidelbeeren sind noch lange nicht dran. Na, die Bilanz ist so schlecht nicht.
Die Kartoffeln blühen, die Tomaten und einige Gurken auch noch, der Topinambur geht mir immerhin bis zur Brust. Von zwölf gepflanzten Kohlrabis sind noch zwölf am Leben, das ist eine Sensation. Unfassbar ist das, noch nie haben wir das erlebt, muss man sich jetzt auch noch Sorgen um die Nacktschnecken machen oder was, hat das Artensterben sie erwischt.
Den Rittersporn und auch einige andere Stauden hat der Regen am Donnerstag ruppig niedergeprügelt. Sogar eine Rose liegt geschlagen darnieder, die pinkfarbenen Blüten verdreckt im Staub, es ist eine Majestätsbeleidigung.
Nach dem roten Mohn ist nun der rosafarbene dran und blüht nach Kräften, die Kapuzinerkresse holt auch schon einmal aus und spannt die raumgreifenden Blätter immer weiter. Die Telekien blühen, die Schafgarbe, das Löwenmaul, einige Nelkenarten, die erste Hortensie, das Brandkraut, die Wucherblume.
Es kommt eine Mail vom Gartenverein, der Hinweis auf Johanni. Ab da ist Hecke zu schneiden, und zwar korrekt, versteht sich, siehe Merkblatt anbei. Es kommt jedes Jahr textgleich, man kennt das.
Und ab dem Johannistag ist auch, das ist noch wesentlich bekannter, kein Spargel mehr zu essen und kein Rhabarber. Ein Tag also, der die Saisonküche sauber in Phasen trennt. Es ist damit der einzige religiöse Feiertag, der mir gültige Anweisungen gibt, die etwas mit meinem Alltag zu tun haben. Faszinierend.
Ich schreibe dies so auf, die Herzdame aber liest die Mail vom Gartenverein, steht auf und schneidet die Hecke. Tatmenschen auch mal bewundern! Aber, versteht sich, nur indem ich es notiere.
Wir haben uns nun einmal so ausgesucht, wie wir sind, denke ich, und gehe später zusammenharken, was da so anfällt. Das macht man als Schreibender eh routinemäßg.
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Vielen Dank für den Hinweis auf den Johannistag, das hatte ich mir bisher noch nicht vor Augen geführt – und ist auch bei mir so.
Beim Gatten nicht, der isst ohnehin nie Spargel, nur manchmal in Dänemark auf einem Stjerneskud. Wobei mir jetzt auch auffällt, dass ich mich seit langem darüber wundere, dass da eingelegter Spargel drauf kommt.
Es gibt jede Menge von diesen Namestagen, die mit dem Gartenjahr verbunden sind.
So zum Beispiel „Gertrud“ (17.03.), an dem das Gartenjahr anfängt.
Oder die Eisheiligen, die eine breite Öffentlichkeit genießen.
Meine Mutter ist in einer katholischen Gegend auf einem Bauernhof aufgewachsen und hier wurde sehr viel nach diesen Namenstagen gelebt. Die wurden intensiver begangen als die Geburtstage. Deshalb hat sie diese Termine mehr oder weniger im Kopf und handelt meist auch danach.